Zum Inhalt springen

Joshua Cohen: Solo für Schneidermann

Joshua Cohens Romandebüt „Solo für Schneidermann“ zeigt, wie wichtig es ist, sich mit der eigenen Dummheit zu konfrontieren.

Joshua, fühlt es sich nicht seltsam an, wenn bei uns erst jetzt dein Romandebüt erscheint, das im Original bereits vor zehn Jahren erschienen ist?
Joshua Cohen: In den USA lagen zwischen dem Schreiben und der Veröffentlichung anderthalb Jahre – und selbst da hat es sich für mich schon veraltet angefühlt. Das muss auch so sein, denn sonst könnte ich mich nicht dem nächsten Projekt zuwenden. Autoren sind Schlangen, die sich häuten.Trotzdem ist es eine besondere Situation: Wenn ich bisher Interviews zu meinen abgeschlossenen Büchern gegeben habe, dann war das immer zu einem Zeitpunkt, in dem ich sie nicht mehr ertragen konnte und gehasst habe. Bei „Solo für Schneidermann“ kommt es mir jetzt so vor, als wäre es das Buch eines Fremden.
Dabei steckt ja sehr viel Autobiografisches in dem Roman. Wenn der amerikanisch-jüdische Stargeiger Laser in der Carnegie Hall eine 15-stündige Rede auf seinen Freund, den verkannten Komponisten Schneidermann hält und mit dem Musikbetrieb abrechnet, dann meint man darin den 20-jährigen Joshua Cohen zu erkennen, der gerade sein Musikstudium geschmissen hat.
Cohen: Der Roman war ganz sicher ein Befreiungsschlag, mit dem ich meine damalige Lebenskrise verarbeitet habe. Ein Jahrzehnt lang habe ich versucht, den hohen Erwartungen meiner Eltern zu entsprechen, ich habe mich von extrem talentierten und berühmten Musikern unterrichten lassen – um dann festzustellen zu müssen, dass ich all dem nicht entsprechen kann. Zwischen der Selbsttäuschung und der Erkenntnis, dass das Musikerdasein vielleicht auch gar nicht das ist, was ich für mein Leben will, liegt ein langer Weg, der durch Wut und Depressionen führte. Mit dem Roman habe meine persönliche Krise zu einer allgemeinen gemacht und mein Scheitern auf die ganze Gesellschaft übertragen. Aber das ist ja auch der Job von Schriftstellern.
Dann war das Schreiben dein Plan B?
Cohen: Geschrieben habe ich immer, aber mit 20 war der Journalismus eine Flucht. Ich bin nach Berlin gegangen, habe für verschiedene Zeitungen gearbeitet und vor allem für den Jewish Daily Forward aus verschiedenen osteuropäischen Ländern berichtet. Rückblickend erkenne ich, dass vor allem die Anonymität als Journalist extrem wichtig war: Ich konnte mich daran abarbeiten, was andere denken. Nur so konnte ich auch einen Zugang finden, mich mit der jüdischen Geschichte auseinanderzusetzen – was mir auf direktem Weg zu kitschig und im Bezug auf eine öffentliche Auseinandersetzung zu emotional vorgekommen wäre.
So ist der Roman mit all seinen Anspielungen und Verweisen auf Musik, Literatur, Mythologie und jüdische Geschichte sehr fordernd, wenn nicht gar überfordernd …
Cohen: Na und? Das macht es doch gerade interessant. Für mich gehört es zur kulturellen Auseinandersetzung dazu, dass ich mit dem Nichtwissen, mit meiner eigenen Dummheit konfrontiert werde. Wenn ich das Gefühl habe, etwas komplett zu durchdringen, interessiert es mich nicht mehr, und ich glaube nicht, dass es in den meisten Fällen besonders dienlich ist, einen komplexen Sachverhalt zu vereinfachen und konsumierbarer zu machen. In der Zeit von „Solo für Schneidermann“ habe ich mich in Europa sehr intensiv mit der jüdischen Besessenheit in Bezug auf Bildung und die sogenannte Hochkultur beschäftigt – die ja eine starke Verletzlichkeit in sich trägt. Man könnte ja fragen: Warum will man sich unbedingt integrieren, wenn die Kultur doch den Weg für die eigene Auslöschung bereitet hat. Warum zwingt man einen zehnjährigen Jungen dazu, Schubert zu spielen, wenn Schubert dich im übertragenen Sinne töten will? Das war der Ausgangspunkt, warum ich meine Gedanken als 25-Jähriger einem fast 90-jährigen Musiker zur Interpretation überantwortet habe.
Was manchmal nur schwer zu ertragen ist, denn sowohl der Erzähler als auch der Komponist Schneidermann vertreten extrem rassistische, homophobe und sexistische Positionen.
Cohen: Das musste für mich sein, denn sonst wäre mir das alles zu clean vorgekommen. Alte Menschen haben diese Tendenzen, wenn sie kurz vor dem Tod ihre Stammeskonflikte zu einen Abschluss bringen müssen. Und es schwingt auch der jüdische Hass auf all diejenigen mit, die es sich anmaßen, die neuen Opfer sein zu wollen.
Erkennst du in deinem Roman auch eine prophetische Kraft, die das Ergebnis der jüngsten US-Wahl erklären kann?
Cohen: Für mich ist es in erster Linie ein sehr persönlicher Roman. Aber Schamlosigkeit ist für den Trump-Sieg eine wichtige, neue Komponente, denn vielleicht sind es die ersten Wahlen, die einer Zeit Rechnung tragen, in der alle Informationen verfügbar sind und jeder Skandal dokumentiert wird. Wir müssen uns auch für die Zukunft auf Kandidaten einstellen, die das vermarkten können. Die sich mit dieser Geste präsentieren: Pfft, na und? Was ihr wisst, ist noch nicht mal das Schlimmste.

Interview: Carsten Schrader

Joshua Cohen Solo für Schneidermann
Schöffling, 2016, 536 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Ulrich Blumenbach

CHECKBRIEF
NAME Joshua Cohen
ALTER 36
GURTSORT Somers Point, New Jersey
WOHNORT New York
ABGEBROCHENES STUDIUM Komposition an der Manhattan School of Music
BERUF Romanautor, Essayist, Kritiker
ANZAHL DER BISHER VERÖFFENTLICHTEN ROMANE 4

Beitrag teilen: