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Juli Zeh: Leere Herzen

So schrecklich Juli Zehs Zukunftsvision auch ist: Wir setzen alles daran, diese Dystopie zu leben …

„Da. So seid ihr“, hat sie ihrem neuen Roman als Motto vorangestellt, und Juli Zeh muss den Plot von „Leere Herzen“ nur ganz leicht in die Zukunft verlegen, um klarzustellen, wohin uns Desillusionierung, Gleichgültigkeit und Pragmatismus führen werden. Im Jahr 2025 wird Deutschland von der Besorgte-Bürger-Bewegung regiert, die nach und nach Grundrechte abschafft und eine Bundeszentrale für Leitkultur eingerichtet hat. Trump war doch gar nicht so böse wie zunächst angenommen, schließlich hat er im Verbund mit Putin den Syrien-Krieg beendet, und einem Großteil der Bevölkerung ist das alles weitgehend egal, weil man sich lieber für die „Sport ist öffentlich“-Initiative engagiert oder die Gedanken um gesunde Ernährung kreisen lässt. Zehs Heldin Britta hat sich ziemlich gut mit den Gegebenheiten arrangiert und gemeinsam mit dem aus dem Irak stammenden Computerfreak Babak eine Firma namens „Brücke“ gegründet. „Heilpraxis für Psychotherapie und angewandte Tiefenpsychologie, Self-Managing, Life-Coaching, Ego-Polishing“, steht auf dem Türschild, was vordergründig durchaus stimmt, da die beiden sich bemühen, selbstmordgefährdete Menschen zurück ins Leben zu führen. Doch ganz eigentlich profitieren sie vor allem von denjenigen, bei denen keine ihrer Maßnahmen anschlägt: Harte Fälle vermitteln sie als Selbstmordattentäter an Organisationen wie „Daesh“, die den Nachlass des „Islamischen Staat“ verwaltet, oder „Green Power“. Doch als sich ein Anschlag ereignet, von dem Britta nichts wusste, ist das lukrative Geschäft bedroht. Macht ihr etwa der neue, undurchsichtige Geschäftspartner ihres Mannes Konkurrenz? Bald schon ist ihr Leben bedroht, und Britta und Babak müssen sich in einem einsamen Haus auf dem Land verstecken …

Die 43-jährige Juli Zeh hat mit ihren Veröffentlichungen schon häufiger politische Statements gesetzt: In „Corpus Delicti“ ging es um Jugendkult und Gesundheitswahn, und in „Angriff auf die Freiheit“ hat sie gemeinsam mit Ilija Trojanow den Überwachungsstaat thematisiert, doch auf ihren großen Gesellschaftsroman „Unterleuten“ lässt sie nun einen Politthriller folgen, mit dem sie sich so viel Ärger wie nie zuvor von der Seele schreibt. In der Sprache ihres Romanpersonals, das immerzu sehr blumig und sehr gefühlsbetont über vegane Ernährung und das eigene Befinden palavert, entlarvt sie unseren gegenwärtigen Verrat an der Demokratie und entwickelt mit vielen unvorhersehbaren Wendungen zugleich einen extrem spannenden Plot. Beides führt sie am Ende zusammen, indem sie Protagonistin Britta stellvertretend mit der Frage der Fragen konfrontiert: Wenn du könntest, würdest du es dann wirklich ändern?

 

Juli Zeh Leere Herzen

Luchterhand, 2017, 352 S., 20 Euro

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