Julia Holter: A Day in the Love
Erstmals verzichtet Julia Holter auf „Something in the Room she moves“ auf einen historischen Überbau und erkundet die Liebe im Jetzt – inklusive vertonter Hormone und Ultraschall.
Julia, sechs lange Jahre sind seit deinem letzten Album vergangen. Du hast Filmmusik komponiert und mit anderen Musiker:innen gearbeitet. Vor allem aber bist du Mutter geworden, was „Something in the Room she moves“ entscheidend geprägt hat.
Julia Holter: Es ist ein extrem wichtiges Element, trotzdem kommt es mir komisch vor, die Platte auf dieses Thema zu beschränken. Klar, zunächst einmal war da während der Schwangerschaft das Gefühl, dass ich die Fähigkeit verloren habe, mich inspirieren zu lassen. Vielleicht konnte ich nicht, und vielleicht wollte ich auch einfach nicht – was ja völlig okay ist. Viele haben während der Pandemie eine ähnliche Erfahrung gemacht. Es ist wichtig, aus den üblichen Strukturen auszubrechen, sich auf neue Situationen einzulassen und in ihnen einen kreativen Raum zu finden. Im Eröffnungsstück „Sun Girl“ gibt es dieses Textzeile, die das Chaos und die Veränderung feiert: „Place me/Drag me/Move me/Sun Girl“. Sie steht für das gesamte Album: Du willst nicht in die Sonne, aber du musst – und vielleicht ist es ja auch gut für dich.
Während du dich sonst meist mit der Vergangenheit auseinander gesetzt hast, durchleuchten die neuen Stücke das Jetzt.
Holter: Es ist eine Erkundung der Liebe in der Gegenwart. Was passiert, wenn sich etwa zwei Hände berühren und ein Gefühl der Geborgenheit ausgelöst wird? Ich wollte an einigen Stellen das Liebeshormon Oxytocin vertonen. Gleichzeitig geht es aber auch um die Schmerzen romantischer Liebe, um Kummer und Verlust.
Der Albumtitel bezieht sich auf die Beatles, indem er deren „Something in the way she moves“ abwandelt. Ein Empowerment-Schlachtruf?
Holter: Es ist schon subversiv gedacht, denn die weibliche Figur ist bei mir ja nicht mehr nur Objekt. Aber es ist keine aggressive Kampfansage oder gar ein Manifest. Seit meiner Kindheit bin ich ein großer Beatles-Fan, doch eine große Referenz ist es auch nicht. Tatsächlich habe ich mehrere Jahre an den Texten gearbeitet und die Datei für den Titelsong aus einer Laune heraus „Something in the Room she moves“ genannt, obwohl eigentlich ein anderer Titel geplant war. Nachdem ich diese Textdatei zwei Jahre lang immer wieder geöffnet habe, fand ich es vor allem lustig, den Song und damit auch das Album so zu nennen.
Auf dem Album sind die vielleicht eingängigsten Songs, die du bislang geschrieben hast, aber auch extrem experimentelle Stücke wie etwa „Meyou“, ein minimalistischer Song, bei dem du im Verbund mit anderen Sängerinnen die titelgebenden Worte mantraartig wiederholst.
Holter: Mich fasziniert es, mit anderen Stimmen zu arbeiten. Für die Zukunft könnte ich mir sogar vorstellen, vornehmlich als Komponistin zu arbeiten und meine Musik nicht selbst zu performen. Für mich wird „Meyou“ vom Zusammenspiel der Stimmfarben getragen, wie sie auseinanderfallen und schließlich wieder zusammengehen. Wir haben das 20 Minuten lang gemacht. (lacht) Vielleicht musst du dich demnächst auf eine noch viel längere Version gefasst machen.
Für „Evening Mood“ hast du den stark verfremdeten Sound eines Ultraschall-Herzschlags verwendet. Allerdings höre ich das nicht raus und hätte dieses Element eher in dem Song „Spinning“ vermutet …
Holter: Wie gut, dass es nicht so offensichtlich ist. Ich wollte diesen Sound unterschwellig einsetzen, so dass beim Hören des Songs ein bestimmtes Gefühl entsteht. Es wäre mir viel zu gestelzt, könnte man die Aufnahme eindeutig identifizieren.