Zum Inhalt springen

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel 2024: Pop vs. Populismus

Kampnagel Sommerfest
Kampnagel Sommerfest (Foto: Fabian Hammerl)

Zwischen politischer Bildung und Party: Das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel ist 2024 so breit aufgestellt, dass es für drei Wochen ganz Hamburg in Atem hält.

Eingedenk der zurückliegenden Europawahl, flattern die Nationalflaggen in Deutschlands Fußballstadien gerade in einem ganz düsteren Licht. Der Wind weht von rechts. Und während Krisen und Kriege toben, fallen uns wirklich keine besseren Antworten als Populismus und Hass ein? Wichtiger denn je, das Feld nicht den Rechten und ihren Ressentiments zu überlassen, Räume zur kritischen Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart zu öffnen und auch uns selbst stets aufs Neue zu sensibilisieren. Ein Festival, das sich noch nie vor den unbequemen Fragen versteckt hat, Verantwortung übernimmt und dabei Haltung, Liebe und Vielfalt feiert, ist das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg.

Choreografin Lucinda Childs
Choreografin Lucinda Childs Foto: Cameron Wittig

Bespielt das Festival seit jeher souverän alle erdenklichen Kunstformen, lockt es mittlerweile auch internationale Superstars in die Hansestadt. Exemplarisch dafür steht Lucinda Childs, die das diesjährige Sommerfestival eröffnet. Die US-Amerikanerin gehört zu den prägendsten Choreograf:innen der jüngeren Tanzgeschichte und bringt gleich vier Uraufführungen nach Hamburg, die sie mit drei Ausnahmekünstler:innen entwickelt hat, die das Spektrum von U bis E vollständig abdecken: der Minimal-Music-Pionier Philip Glass, die oscarprämierte Avantgarde-Komponistin Hildur Guðnadóttir und der Bildende Künstler Anri Sala.

Dass Kampnagel der ideale Ort für so ein Kulturfest ist, steht außer Frage: mit seinen opulenten Hallen, einem Kino und dem Kunstfreizeitpark, in dem Lesungen und Gespräche mit der Linguistin, Feministin und Rapperin Dr. Bitch Ray oder Alice Hasters, der Autorin von „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“, unter dem passenden Titel „Wallah Krise!“ auf Besucher:innen warten. Und doch hat sich das Festival mittlerweile über die ganze Stadt ausgebreitet. So finden auch die gemeinsamen Videoarbeiten von Childs und Sala ihren Weg in die Hamburger Kunsthalle, die darüber hinaus als Anlaufpunkt der Kunstmeile dienen wird. Eine Art Performance-Parcours, der durch sechs renommierte Kunsthäuser und Museen führt, Tanz und Bildende Kunst in den Dialog treten lässt und schließlich ein kostenloses Finale auf dem Rathausmarkt feiert.

„Traplord“ von Ivan Michael Blackstock
„Traplord“ von Ivan Michael Blackstock Foto: Foto: Belinda Lawley

Vom Rathaus in die Trap: Neben namenhaften Ikonen inszenieren auch gefeierte Nachwuchskünstler:innen wie etwa Iwan Michael Blackstock ihre Stücke auf den Kampnagel-Bühnen. Mit „Traplord“ erforscht der unter anderem für Beyoncé arbeitende Choreograf aus Südlondon die Projektionen westlicher Gesellschaften auf schwarze Männlichkeit, spielt mit der Zuschreibung des Angry Black Man und nutzt Drill, Grime und Krump oder Videospielästhetiken, um die transformative Kraft des Tanzes zu beschwören. Eine Trap-Oper, die bereits den Olivier Award gewonnen hat, Großbritanniens höchste Theater- und Musicalauszeichnung.

Mit Sampha beendet hingegen ein echter Superstar das dreiwöchige Festival. In einem 360-Grad-Setting bringt der Londoner seinen bahnbrechenden Soul in die Elbphilharmonie, lässt Drum-and-Bass-Fragmente, strahlendes Falsett und meditative Reflexionen klingen, als gehörten sie schon immer zusammen. Apropos 360 Grad: Natürlich ist dem Sommerfestival als ganzheitliche Erfahrung auch die Partizipation seiner Gäste wichtig. So gibt es nicht nur Frontalkunst, sondern auch Performances wie „Touching you“ von Sibylle Peter & Heteraclub, die sexuellen Sehnsüchten nachspüren, wofür die vierte Wand eingerissen und auf körperliche Berührungen mit dem Publikum gesetzt wird. Zudem stehen wieder etliche herausragend kuratierte Klubnächte im Programm, und jede:r ist dazu eingeladen, an Publikumsgesprächen teilzunehmen – wie etwa nach der bildgewaltigen Theaterinszenierung des ungarischen Regiestars Kornél Mundruczó, der mit „Parallax“ die Herausforderungen von Identitäten in einer von Antisemitismus, Rassismus und Queerfeindlichkeit geplagten Gegenwart inszeniert. Das Internationale Sommerfestival 2024 weiß: Es geht uns alle etwas an.

Beitrag teilen:

Mehr Kulturhighlights imkulturnews.letter

Jetzt kostenlos abonnieren