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Karl Ove Knausgård: Träumen

Auch mit „Träumen“ bleibt Karl Ove Knausgård spektakulär unspektakulär.

Der Norweger protokolliert nach „Spielen“ und „Leben“ weiterhin das Heranwachsen des inzwischen studierenden Karl Ove Knausgård, versagt sich als Autor allerdings den interpretierenden, Schwerpunkte setzenden Zugriff auf sein jüngeres Ich. Nüchtern und gleichberechtigt stehen auch in „Träumen“ Beschreibungen von Natur, durchtrunkenen Abenden und Studienalltag neben den Selbstreflexionen des Romanhelden.

Überhaupt ist der Umstand, dass ein derart angelegtes Biografieprojekt von gelungener Rekonstruktion – oder eben der glaubwürdigen fiktionalen Erweiterung – abhängt, ein pikanter Aspekt: Der Detailreichtum, mit dem Knausgård erzählt, macht hinterfragen, wie viel anhand bloßer Erinnerung überhaupt zu leisten ist. Das Gedächtnis ist, da fehlbar und zum Selbstbetrug neigend, eine per se unzuverlässliche Erzählinstanz. Wobei eben dieser Vorwurf erneut wenig naheliegend erscheint, so scharf der Autor seinen Protagonisten in „Träumen“ zeichnet: seine Fehlbarkeit, seine Scham, seine Angst, seine fragwürdigen Entscheidungen und Überzeugungen. Literarische und libidöse Ambitionen werden zu Zwängen, bestimmen Karl Oves Leben, er verzweifelt an beidem, masturbiert viel, trinkt noch mehr, geht fremd, schreibt schlechter, als er selbst vermutet und gehofft hätte, ist gutaussehend, überfordert und ziemlich egoistisch. „Träumen“ ist zum wesentlichen Teil ein Ringen mit der Chimäre Schriftstellertum, und das Eindrucksvollste an der Lektüre des Romans ist, dass Knausgård eine Metaebene vermeidet, auf der er das Thema mit über Jahre destillierten Überzeugungen und Erkenntnissen durchdringen könnte. Welche einstigen Überzeugungen überlebt haben, welche modifiziert und welche verworfen wurden, bleibt unklar. Knausgård verfährt regelrecht verschwenderisch mit Begebenheiten, auf die sich andere Literaten händeringend mit der Deutungskeule stürzen würden, um eine errungene Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit zu betonen. Knausgård misst seinem Leben ausreichend Bedeutung bei, um es in ein megalomanes Buchprojekt zu verwandeln – sich selbst aber nicht genug, um über selbiges Leben zu urteilen.

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