Ken Loach spricht über seinen letzten Film „The old Oak“
Mit 86 Jahren hört die britische Regielegende Ken Loach auf. Mit einem letzten Drama über die Benachteiligten und Armen – und mit Hoffnung.
In fast 30 Spielfilmen hat der erklärte Sozialist Ken Loach aus dem englischen Nuneaton den Unterpriviligierten eine filmische Stimme gegeben. Er hat zweimal die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes gewonnen (2006 für „The Wind that shakes the Barley“ und 2016 für „Ich, Daniel Blake“) und unzählige weitere Auszeichnungen erhalten. Nun steigt Loach mit 86 Jahren vom Regiestuhl herab – und stellt ein letztes Mal die vergessenen und von der Politik beseitegeschobenen Menschen der englischen Gesellschaft in den Mittelpunkt.
The old Oak handelt von einer Gruppe Mensche, die in einer ehemaligen, nun heruntergekommenen Bergbaustadt leben und sich mit der Ankunft von syrischen Flüchtlingen konfrontiert sehen – wie gehen sie mit der Konkurrenz um Sozialleistungen um? TJ Ballantyne, der Wirt des einzigen verbliebenen Pubs in der Stadt, weiß es: Er geht auf die vor dem Krieg geflohenen Familien zu.
Hier spricht Loach über seinen Film:
„Wir hatten schon zwei Filme im Nordosten Englands gedreht, „Ich, Daniel Blake“ und „Sorry we missed you“. Beides Geschichten über Menschen, die in dieser zerrissenen Gesellschaft gefangen sind. Beide endeten unweigerlich schlecht. In dieser Zeit haben wir dort aber so viele warmherzige und unbeugsame Menschen getroffen, die sich diesem Leben mutig und entschlossen stellen, dass wir auch das unbedingt zeigen wollten. Wir hatten das Gefühl, einen dritten Film machen zu müssen, der genau das widerspiegelt, ohne dabei die Probleme in dieser vernachlässigten Region zu verharmlosen. Es gab hier eine noch größere Geschichte für uns, wenn wir in der Lage wären, sie zu finden.
Ken Loach: Das Versagen der Labour-Partei
Unser Ausgangspunkt war der Verfall dieser Region. Die alten Industrien, Schiffbau, Stahl- und Kohlebergbau sind verschwunden und es ist nichts Neues an ihre Stelle getreten. Zahllose Gemeinden, die auf stolze Zeiten der Solidarität und lange kulturelle und sportliche Traditionen zurückblicken, wurden von Politikern beider großen Parteien dem Verfall überlassen. Was uns dort auffiel, war, dass die Menschen von den Tories sowieso nichts erwartet hatten, aber dass das Versagen der Labour-Partei angeprangert wurde, gerade weil der Nordosten natürlich eine Labour-Hochburg war, wo etwa Tony Blair Abgeordneter war. Das hatte nur nie einen Unterschied gemacht, die kleinen Gemeinden wurden im Stich gelassen. Viele Familien sind weggezogen, Geschäfte haben geschlossen, ebenso wie Schulen, Bibliotheken, Kirchen und die meisten öffentlichen Einrichtungen. Wo es keine Arbeit gibt, schwindet die Hoffnung. Entfremdung, Frustration und Verzweiflung treten an ihre Stelle, und erschreckenderweise machen sich dadurch auch rechtsextreme Kräfte und Tendenzen breit. Stadtverwaltungen in anderen, wohlhabenderen Gegenden schickten schutzbedürftige Menschen, die als Problemfälle gesehen werden und auf Wohngeld angewiesen sind, in den Nordosten, wo die Mieten billig sind. Konflikte waren geradezu unvermeidlich.
Kann es überhaupt ein Zusammenleben geben?
Verschärft wurde die Situation noch durch eine weitere Wendung, als die Regierung sich endlich dazu entschloss, Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Insgesamt waren es zwar weniger als in den meisten anderen europäischen Ländern, aber sie mussten ja trotzdem irgendwo hin. Auch hier war es keine Überraschung, dass der Nordosten mehr Flüchtlinge aufnahm als jede andere Gegend. Warum? Hier gibt es billigen Wohnraum, und es handelt sich um eine Region, die von den nationalen Medien kaum beachtet wird.
Mein Drehbuchautor Paul Laverty hatte Geschichten darüber gehört, was passierte, als die ersten syrischen Familien ankamen, und bekam das Gefühl, dass wir diese Geschichte erzählen sollten. Dafür mussten wir sie aber zunächst wirklich verstehen. Es geht um zwei Gemeinschaften, die Seite an Seite leben. Beide leiden unter ernsten Problemen, aber eine hat auch noch mit dem fürchterlichen Trauma zu kämpfen, einem Krieg von unvorstellbarer Grausamkeit entkommen zu sein – trauernd um die, die sie verloren haben, und krank vor Sorge um die, die sie zurückließen. Diese Menschen finden sich als Fremde in einem fremden Land wieder, in dem sie auch nicht immer willkommen sind. Kann es da überhaupt ein Zusammenleben geben und wie findet man in solchen dunklen Zeiten so etwas wie Hoffnung? Klar war, dass es um schwierige Fragen geht – aber Paul, meine Produzentin Rebecca O’Brien und ich wollten nach Antworten suchen.“