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Kultur in Zeiten von Corona: Offener Brief an Monika Grütters

Anne-Sophie Mutter ist eine der Künstlerinnen, die in einem offenen Brief mehr Solidarität von der Regierung in Zeiten von Corona fordern.
Anne-Sophie Mutter ist eine der Künstlerinnen, die in einem offenen Brief mehr Solidarität von der Regierung in Zeiten von Corona fordern. (Foto: The Japan Art Association / The Sankei Shimbun (2019))

Die Kulturbranche leidet unter der Corona-Pandemie. Deutsche Kulturschaffende wenden sich in einem offenen Brief an Kulturpolitikerin Monika Grütters.

Die Kulturbranche leidet weiterhin unter der Corona-Pandemie. Etablierte Künstler*innen können den Einschränkungen zwar mit Streaming-Formaten entgegenwirken – doch was ist mit den Vertrieben, den Veranstalter*innen und mit weniger etablierten Namen, die sich schon vor der Krise zu großen Teilen in finanziell prekären Situationen befanden?

Gemeinsam haben deutsche Kulturschaffende, darunter am prominentesten die Violinistin Anne-Sophie Mutter, der Sänger René Paper und der Dirigent Thomas Hengelbrock, einen offenen Brief an Monika Grütters verfasst, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. jl

Der offene Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Professor Monika Grütters,

heute wenden wir uns mit einem Hilferuf und einer Forderung an Sie. Wir, das sind auch unzählige selbstständige und freischaffende Künstler, nicht bekannt und ohne internationales Standing – die gleichwohl die kulturelle Landschaft hier in Deutschland maßgeblich prägen. Den Letzteren steht vom ersten Tag des ersatzlosen Ausfalls der Veranstaltungen in Deutschland das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Halse.

In Ihrem Interview vom 30.03. in der „FAZ“ sagen Sie über unsere „Branche“ der Kulturschaffenden, einschließlich Musiker, Schauspieler, Darsteller, Filmschaffende, Akrobaten et cetera, diese „Betroffenen“ seien es nicht gewohnt, „um Hilfe zu schreien“. In der Tat, das tut unabhängig von der Branche niemand gerne und zum spätestmöglichen Zeitpunkt. Dieser ist allerdings nun gekommen.

Sie wollen helfen, kündigen Sie im selben Interview an, „die persönlichen Lebensumstände abzusichern“ – meinen Sie die bisherigen Lebensumstände? Weiter versprechen Sie, diese „Betroffenen könnten jetzt leichter an eine Grundsicherung kommen“.

Wir fragen: Was ist mit uns? Mit den bekannten, weniger bekannten und sehr bekannten internationalen Künstlern und Künstlerinnen? Jenen, die bislang gerade so über die Runden kamen, und jenen, deren Bekanntheit die subventionierten Opernhäuser, Konzertsäle und Theater füllt?

Letztere beschäftigen in der Regel mehrere Personen über Künstleragenturen, PR-Agenturen bis hin zu Webdesignern und Sekretären. An ihrem Einkommen und ihrer Tätigkeit hängen viele weitere Beschäftigte. Sollen diese in einem Kaskadeneffekt mit den auf „Grundsicherung“ gesetzten Künstlern dann auch zu Sozialfällen werden?

Ist es ernsthaft gewollt, dass wir – von heute auf morgen einkommenslos – in die „Grundsicherung“ mit Bedürftigkeitsprüfung abgleiten, nachdem wir gegebenenfalls unsere Altersabsicherung, sofern überhaupt vorhanden, mit enormen Verlusten zu Geld gemacht haben, was abhängig vom Alter für viele nicht mehr zu kompensieren sein wird?

Würde das nicht bedeuten, dass Kultur doch nur ein Luxus für gute Zeiten ist? Und nicht, wie von jedem Politiker gebetsmühlenartig wiederholt, eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft sorgt, für den inneren sozialen Frieden, und die für die Inspiration, gerade auch der Entscheidungsträger, sehr wichtig und von Relevanz ist? Erwarten Sie, dass wir dann nach all dem über frische Kräfte verfügen, mit Elan neu durchstarten und das Land mit Kunst und Kultur bereichern?

Sind wir nur beliebt, wenn die Zeiten rosig sind? Fühlt sich keiner unserer kulturellen Leistung verpflichtet? Ist es denn unvorstellbar für den deutschen Staat, den freiberuflichen Kulturschaffenden ebenso schnell eine maßgeschneiderte Hilfe zu offerieren wie etwa Adidas, oder den Logo- und Ergotherapeuten, die 40 Prozent aus dem vierten Quartal des Vorjahres als Einmalzuschuss bekommen, oder den Zahnärzten, die vorerst 90 Prozent des Vorjahreseinkommens erhalten?

Ist es unvorstellbar, Künstlerinnen und Künstler in den Stand zu setzen, die nächsten acht, neun, vielleicht auch zwölf Monate zu überbrücken, ohne in unverschuldetes und unverdientes Elend, in die totale Depression abzugleiten?

Abgesehen von wenigen positiven Ausnahmen, wie Ulrich Khuon, dem Präsidenten des Deutschen Bühnenvereins und Intendanten des Deutschen Theaters Berlin, haben sich von den hoch subventionierten Häusern nur das Münchner Volkstheater, die Theater Hof, Münster, Basel, Kopenhagen und das Landestheater Niederbayern unserer Kenntnis nach solidarisch gezeigt. Zu hoffen wäre, dass alle diesem so positiven Beispiel folgen würden.

Wir, bekannte und unbekannte Künstlerinnen und Künstler, erinnern uns daran, wie oft wir im Laufe der Jahre, beispielsweise nach der Finanzkrise, gebeten worden sind, geringere Honorare zu akzeptieren, einen Beitrag für die Vielfalt der Kulturlandschaft zu leisten und dies auch meist getan haben.

Von Ihnen erwarten wir nun im Gegenzug, dass Sie sich zumindest für adäquate Ausfallhonorare durch die staatlich subventionierten Institutionen, Theater, Opernhäuser, Orchester, Konzerthallen, und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einsetzen und ein akzeptables Resultat erzielen. Für all jene Veranstalter, die außerhalb des subventionierten Kulturbetriebs tätig sind, ist zwingend erforderlich, diese so zu stellen, dass sie in den Stand gesetzt werden, ihren wertvollen Beitrag zur Kultur weiter zu erbringen.

Wir sehen Ihrer Antwort entgegen und verbleiben mit freundlichen Grüßen

Lisa Batiashvili, Violinistin

Matthias Goerne, Sänger

Thomas Hengelbrock, Dirigent

Anne-Sophie Mutter, Violinistin

René Pape, Sänger

Christian Thielemann, Dirigent (Namen in alphabetischer Reihenfolge)

in Vertretung für weitere Künstlerinnen und Künstler:

Dr. Miriam Kellerhals, Rechtsanwältin für Kunst- und Urheberrecht

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