Kultur vs. Natur – ein Spannungsfeld?
Umweltschutz, Ökologie, Nachhaltigkeit. Es gibt viele Ausdrücke, wenn es um den Natur- und Klimaschutz geht. Sie alle meinen mehr oder weniger dasselbe. Sie alle spielen in der Kultur aber bislang eine untergeordnete Rolle.
Es lohnt sich daher ein genauerer Blick auf die Zusammenhänge und die Frage, ob es sich um ein Spannungsfeld handelt oder sich die Natur und Kultur vielleicht sogar vereinen lassen.
Wenn sie den Begriff der Kultur hören, denken die meisten Menschen erst einmal an klassische Ausprägungsformen wie Theater, Musik oder Kunst. Jedoch ist die Kultur deutlich vielfältiger, als sie auf den ersten Blick anmutet. Diese Vielfalt eröffnet sich auf den zweiten Blick, wenn die verschiedenen Definitionen der Kultur verglichen werden. Demnach handelt es sich eben nicht nur um die „Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“, sondern auch um „ganze Lebensformen, d.h. die Gesamtheit der Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsmuster von Kollektiven“ und damit ist die Liste noch lange nicht zu Ende. Somit gibt es längst nicht nur eine Kultur im künstlerischen Sinne, sondern beispielsweise auch eine Esskultur, wie bereits erörtert wurde. Da drängt sich die Frage auf, ob es sogar etwas wie eine „Ökokultur“ gibt – oder geben sollte?
Die Entwicklung der Ökokultur
Tatsächlich scheint sich eine solche derzeit herauszubilden. Denn je mehr die Themen rund um den Klimawandel in den Fokus der Öffentlichkeit rücken, umso mehr beginnen sie auch, das gesellschaftliche Leben und damit die Kultur zu verändern. Zudem werden ökologische Themen zunehmend in den klassischen Kunstdisziplinen thematisiert. Vor allem, aber längst nicht nur, bei den jüngeren Generationen lässt sich daher eine Form der Ökokultur erkennen – wenn auch noch in ihren Anfängen. Fakt ist, dass die Öffentlichkeit immer besser über die relevanten Themen rund um die Nachhaltigkeit aufgeklärt ist. Es wird viel darüber gesprochen, sei es in den Medien oder im alltäglichen Leben. Dementsprechend überraschend ist aber, dass bislang nur wenige Konsequenzen aus diesem Wissen gezogen werden. Eine Veränderung im Lebensstil und damit in Teilen der Kultur lässt sich daher zwar beobachten, aber eher schleichend. Die Lebenspraktiken passen somit nicht mit den deklarierten Nachhaltigkeitszielen zusammen, zumindest noch nicht. Lassen sich diese Begriffe also jetzt oder in Zukunft überhaupt vereinen?
Natur und Kultur als Spannungsfeld
Auch diese Frage hat ihre Daseinsberechtigung, denn bislang wurden die beiden Begriffe eher als Gegenspieler betrachtet. Grund dafür ist, dass die Natur mit einer größtmöglichen Unberührtheit assoziiert wird. Je mehr der Mensch also eingreift, desto mehr widerspricht sein Verhalten dem eigentlichen Gedanken der Nachhaltigkeit. Demgegenüber ist der klassische Kulturbegriff überhaupt erst durch ein solches Eingreifen entstanden. Es geht schließlich um eine bewusste Gestaltung, nicht nur – aber eben auch – der Natur beziehungsweise der natürlichen Umgebung. Dennoch macht die neue Entwicklung in Richtung der Ökokultur zunehmend deutlich, dass dieses einstige Spannungsfeld zu verschmelzen scheint und sich die Begriffe eben doch in gewisser Weise unter einen Hut bringen lassen. Da eine Unberührtheit der Natur nämlich kaum möglich ist, solange Menschen auf der Erde wandeln, kann die Kultur dabei helfen, zumindest mehr Nachhaltigkeit in diese Gestaltung zu bringen. Dabei geht es weniger um ästhetische Faktoren als um die Schonung der Ursprünglichkeit der Natur, ihrer Ressourcen und Biodiversität.
Ökologie im Zeitalter der Anthropozän
Credit Beitragsbild: js-photo / Credit Bild im Text: Jakob FischerAls Zwischenfazit lässt sich somit festhalten: Kultur kann nicht nur ökologisch sein, sie sollte es auch. Denn ausschließlich, wenn der Nachhaltigkeitsgedanke auch in der Kultur angekommen und verankert ist, werden tatsächliche Veränderungen im Lebensstil passieren und auch erst dann können die Nachhaltigkeitsziele umgesetzt werden. Schließlich leben wir im sogenannten Zeitalter der Anthropozän, sprich der Mensch ist einer der wichtigsten Einflussfaktoren, wenn nicht sogar der wichtigste, auf sämtliche Prozesse der Erde. Das gilt sowohl im biologischen Sinne, als auch im atmosphärischen und geologischen. Das stellt ein großes Risiko dar, wie der Klimawandel beweist, aber auch eine echte Chance. Denn zum ersten Mal in der Geschichte ist der Mensch in der Lage, bewusst sowie grundlegend in die Ökologie einzugreifen und dadurch Gutes zu bewirken. Eine Chance, die leider bislang nicht oder in zu geringem Ausmaß genutzt wird.
Natur und Kultur in der Politik
In der Politik sind Umweltthemen längst angekommen. Regularien wie die Ökosteuer geben bereits seit vielen Jahren die Richtung vor, wenn es um mehr Nachhaltigkeit geht. Eine Maßnahme, die sich vor allem auf die Industrie auswirkt, sprich auch ökonomische Faktoren spielen bei der Thematik eine wichtige Rolle. Zuletzt schließt sich der Kreis zu sozialen Themen, denn die Einnahmen aus der Ökosteuer werden wiederum genutzt, um die Rentenbeiträge zu stabilisieren. Ein klassisches Beispiel für das Nachhaltigkeitsdreieck also, aber nur ein Beispiel von vielen. Es macht deutlich: Die Politik hat ebenso unmittelbaren Einfluss auf das gesellschaftliche Leben wie die Kultur. Und wo freiwillige Veränderungen im Sinne einer Ökokultur ausbleiben, sei es bei Privatpersonen oder in der Wirtschaft, müssen diese eben politisch forciert werden. So lautete zumindest bislang die Strategie und deshalb wurde in der Politik strikt getrennt zwischen kulturellen und ökologischen Themen. Auch diesbezüglich lässt sich nun aber ein Umdenken beobachten.
Kultur als Weg aus der Konsumgesellschaft
Das Grundproblem, mit der die Gesellschaft derzeit konfrontiert wird, ist nämlich die Rolle, welche der Konsum im alltäglichen Leben spielt. Nicht ohne Grund wird häufig auch von der Konsumgesellschaft gesprochen. Genau dieser Konsum ist jedoch der größte Gegenspieler der Nachhaltigkeit. Denn solange eine entsprechende Nachfrage besteht, lassen sich Anbieter nicht zu Veränderungen überreden – und auch nur in einem gewissen Ausmaß durch die Politik zwingen. Ziel sollte daher sein, die Veränderungen freiwillig sowie grundlegend in der Gesellschaft herbeizuführen. Ein verändertes Konsumverhalten zieht wiederum ein verändertes Anbieterverhalten nach sich. Nur so können alle Prozesse auf lange Sicht nachhaltig(er) gestaltet werden. Die Kultur bietet hierfür eine Art Ausweg, denn sie ermöglicht eine Sonderform von Konsum, ohne dadurch die Umwelt zu schädigen. Es gibt jedoch noch (zu) viele Ausnahmen von dieser Regel, denn Kultur per se ist in ihrer klassischen Form nicht zwingend nachhaltig. Die Kulturpolitik kann daher nicht losgelöst von ökologischen Themen betrachtet werden. Stattdessen sollte sie die Nachhaltigkeit bewusst in den Vordergrund rücken, um eben der Gesellschaft eine umweltfreundliche Konsumalternative zu bieten.
Wie Umwelt- und Kulturpolitik kooperieren können
Kulturpolitik sollte also zunehmend ökologisch orientiert stattfinden und somit dem Trend zur Ökokultur folgen – oder, besser noch, ihn vorantreiben. Denn sobald die Umwelt- und die Kulturpolitik kooperieren, eröffnen sich zahlreiche Potenziale: Ökologische Denk- und Handlungsmuster können sich etablieren, das Kulturverständnis kann sich verändern und die Nachhaltigkeitsziele können endlich erreicht werden. Es geht sozusagen darum, das Problem bei der Wurzel anzupacken und durch kulturelle Veränderungen die Nachhaltigkeit überhaupt erst zu ermöglichen, und zwar nicht durch die Politik forciert wie bei der Ökosteuer, sondern auf einer freiwilligen Basis. Denn das Grundproblem, weshalb Natur und Kultur bislang als Gegenspieler angesehen wurden, ist eine Störung des kulturellen und damit auch gesellschaftlichen Naturverhältnisses. Sobald sich jedoch das Kulturverständnis und damit auch das Naturverständnis verändert, wird die Umwelt von einer ausbeutbaren Ressource zu einer wichtigen und ästhetischen Lebensgrundlage, die es zu wahren gilt. Schon seit längerer Zeit wird daher der Ruf immer lauter, das Nachhaltigkeitsdreieck aus Ökonomie, Ökologie und Sozialem müsse endlich um die vierte Dimension der Kultur erweitert werden.
Fazit
Tatsächlich wurden Kultur und Natur lange Zeit als Spannungsfeld betrachtet, was unter anderem zu einem Naturverständnis geführt hat, das die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele unmöglich machte. Seit rund ein bis zwei Jahrzehnten lässt sich aber eine Gegenbewegung beobachten. Eine Art der Ökokultur etabliert sich zunehmend in der Gesellschaft, jedoch nur schleichend. Grundlegende Veränderungen bleiben bislang aus, denn die Kultur der modernen Konsumgesellschaft steht ihnen im Weg. Je mehr sich jedoch das Naturverständnis verändert, desto freier wird der Weg auch für ein grundlegendes Umdenken und damit für die Nachhaltigkeitsziele. Die Kulturpolitik kann hierbei förderlich wirken, wenn sie endlich (auch) ökologisch orientiert angegangen wird. Somit kann und sollte die Kultur auf vielerlei Ebenen zur Erhaltung der Natur beitragen, sei es im klassischen Sinne durch ökologische Kunst oder im weiteren Sinne durch einen gesellschaftlichen Kulturwandel.