Was war Sigmund Freuds Einfluss auf die Kunst, Frau Fritz?
Sigmund Freud und die Kunst – was hat der Psychoanalyse-Papst mit Farbe und Pinsel zu tun? Wir fragten Dr. Nicole Fritz, Direktorin und Vorstand der Stiftung Kunsthalle Tübingen.
Frau Dr. Fritz, Sie machen eine in der Kunsthalle Tübingen eine Ausstellung über Sigmund Freud und seinen Einfluss auf die Kunst. Kann es sein, dass Ihnen ihr Unbewusstes die Idee zu dieser Schau verraten hat?
Dr. Nicole Fritz: Ich finde das gar keine so abwegige Vorstellung, manchmal passiert die Themenfindung für eine Ausstellung in der Tat intuitiv, aber bei diesem Projekt war das anders. Das Thema Sigmund Freud und die Kunst steht schon lange ganz oben auf meiner Liste. Ich hatte es bereits in den Bewerbungsgespräch 2017 zur Direktion der Kunsthalle Tübingen als ein mögliches Ausstellungsprojekt genannt, das ich gerne in Tübingen realisieren würde. Ich finde es ein sehr passendes Thema für eine Stadt, in der Psychologie unter anderem auch gelehrt wird. Für mich und mein kleines Team war die Realisierung jedoch bislang nicht möglich, da ein so großes kulturhistorisches Thema schon umfangreiche Vorarbeit bedarf. Ich kuratiere jede Ausstellung der Kunsthalle Tübingen in Eigenregie. Vor zwei Jahren sah ich dann zufällig, dass das Sigmund Freud Museum in Wien das Verhältnis von Freud zum Surrealismus in einer Schau behandelt. Das hat mich brennend interessiert. Ich fuhr hin, und die dortige Direktorin Monika Pessler willigte sofort auf meinen Vorschlag ein, dass wir dieses Thema Freud und die Kunst gemeinsam vom 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart ausweiten. Sie hat ihr Wissen zum Surrealismus eingespielt und wir die anderen Künstlerpositionen erarbeitet – eine Win-Win Situation für beide Häuser.
Kunsthalle Tübingen: „Freud war so etwas wie ein Vordenker.“
Es geht Ihnen um die Wirkmacht von Freuds Konzepten auf die Bildende Kunst der letzten 100 Jahre – wie hat sich Freud auf diese denn ausgewirkt?
Fritz: Es ist äußerst spannend, diesen Einfluss von Freud auf die Kunst zu erforschen. Mit der Veröffentlichung von Freuds „Traumdeutung“ um 1900 entfaltete sich seine Wirkung auf die Künstlerinnen und Künstler. Angefangen von den Expressionisten, die sich ausgehend zu seinen Überlegungen vom Ich, Über-Ich und Es mit ihrer eigenen Innenwelt beschäftigen und sich sprichwörtlich den Spiegel vorhielten. Bei meinen Forschungen bin ich beispielsweise darauf gestoßen, dass es überraschend enge Bezüge bei der deutschen Künstlerin Käthe Kollwitz gibt. Sie hat die Schriften von Freud nicht nur nachweislich gelesen, sondern sich auch mit ihren Freunden und ihrer Familie rege über dessen Theorien ausgetauscht. Auch für die Surrealisten und Surrealistinnen, das hat meine Kollegin Monika Pessler erarbeitet, war Freud so etwas wie ein Vordenker. Sie entwickelten neue kreative Verfahren, um die die Untiefen des Unbewussten mittels Collage, Frottage oder Rayografie zu materialisieren. Aber auch für Individualisten der Nachkriegszeit wie Joseph Beuys sowie Konzeptkünstler:innen der 1980er Jahre war Freud immer wieder auch eine historische Figur, um die man nicht herumkam.
Die Besucher:innen können in der Kunsthalle Tübingen den Einfluss von 100 Jahren Freud auf die Kunst in einem Rundgang anhand von 50 Positionen nachvollziehen. Dieser ist sowohl chronologisch als auch thematisch angelegt. Jede Zeit hat Freud und sein Erbe anders gewichtet und reflektiert. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stand beispielsweise eher das individuelle Unbewusste im Zentrum, und die Künstlerinnen und Künstler haben sich mit dem Traum auseinandergesetzt. In den 1970er Jahren stand dann im Zuge der Studentenbewegung auch die Befreiung des Körpers im Mittelpunkt, und in diesem Zusammenhang spielt Eros und Thanatos eine größere Rolle. Wir zeigen, wie feministische Positionen der Postmoderne das Erbe des Denkmeisters der Psychoanalyse in der Sprache der Kunst mitunter auch kritisch reflektieren. Aber auch für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ist Freud auch heute noch ein „door opener“, selbst, wenn er zu seiner Zeit so manche Tür (auch vor sich selbst) in Bezug auf den „dunklen Kontinent“ des Weiblichen verschlossen gehalten hat. Im letzten Kapitel der Ausstellung zeigen wir, wie Künstlerinnen und Künstler seit den 1990er Jahren bis heute vor allem das Freud’sche Leitmotiv des Unheimlichen für die Gegenwartsbeschreibung produktiv machen, indem sie das Unbehagen an der Kultur einer von Krisen und Zerstörung geprägten Gegenwart thematisieren und verstärkt in ihren Werken gesellschaftlich verdrängte, verstörende Aspekte unserer Wirklichkeit vor Augen führen.
„Für Künstler:innen auch heute auch heute noch inspirierend.“
Freud hat behauptet „Der Mensch ist nicht Herr seiner selbst.“ Was hat er damit genau gemeint? Hat dies heute noch eine Aktualität?
Fritz: Ja, mit dieser aus heutiger Sicht sehr männerzentrierten Formulierung revolutionierte Sigmund Freud am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die Vorstellung vom „vernünftige“ Menschen, indem er die These aufstellte, dass unser Fühlen, Denken und Handeln auch maßgeblich vom Unbewussten mitbestimmt wird. Freud hat mit diesem Konzept das Bild vom Menschen als Homo psychologicus begründet und damit ja sozusagen die Tür zur Selbsterfahrung geöffnet und uns angeregt, unsere Träume, Erinnerungen und Beziehungen radikal neu zu denken und auch zu erforschen. Zu seiner Zeit war das provokant, heute gehört die Selbsterforschung und die Selbstthematisierung ja ganz selbstverständlich als eine mögliche Methode unter anderen im Rahmen des künstlerischen Arbeitens dazu.
Mit unserer Ausstellung zeigen wir nicht zuletzt, dass gerade Künstler:innen auch Reisegefährt:innen sind, um das eigene Innere zu erforschen. Anders als noch im Surrealismus scheint heute für sie jedoch weniger die Frage nach dem individuellen Unbewussten im Zentrum zu stehen. Die Künstler:innen beschäftigen sich vielmehr damit, welchen Einfluss die Gesellschaft auf den Einzelne:n hat und wie sich das „optische Unbewusste“ (R. Krauss), das heißt, die von der Gesellschaft mittels medialer Bilder vermittelten Identitätsmodelle auf unsere Körper und Gedanken auswirken. Seit den 1990er-Jahren thematisieren sie verstärkt auch kulturell Tabuisiertes und Verdrängtes, Schriften wie „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ oder „Das Unbehagen in der Kultur“ sind für Künstler:innen auch heute auch heute noch inspirierend, um über gesellschaftliche Prozesse nachzudenken.
Interview: Volker Sievert