Lambert: Sweet Apocalypse
Noch besteht Hoffnung, dass die Welt nicht untergeht. Doch von dem Pianisten Lambert müssen wir uns verabschieden – zumindest von dem, den wir bisher kannten.
Lambert, wenn du darauf angesprochen wirst, warum du eine Maske trägst, antwortest du immer, dein Äußeres solle nicht ablenken, und überhaupt würde dein Gesicht auch nicht zu der Klaviermusik passen. Aber was für ein Gesicht könnte denn dein drittes Album „Sweet Apocalypse“ repräsentieren?
Lambert: Ich bin froh, dass ich mir darüber keine Gedanken machen muss und es einen Abstand zwischen mir und diesem Lambert gibt, den ich so formen und designen kann, wie ich will. Momentan gibt es in den Medien doch schon viel zu viele Gesichter, die zur Apokalypse passen – auch wenn die natürlich nicht besonders sweet sind. Das ist ja auch der Schritt, den ich mit dieser Platte gemacht habe: Hier geht es nicht um meine innere Gefühlswelt, sondern mich hat interessiert, was momentan in der Welt vor sich geht.
Dann markiert dein drittes Album die Politisierung des Klaviers?
Lambert: Auf mich wirkt es dieser Tage so, als würden die Menschen eine romantische Beziehung mit der Postapokalypse führen. Woher kommt das? Natürlich kann ich das durch meine Begeisterung für entsprechende Filme nachvollziehen. Allein schon das Visuelle: Selbst so schlimme Filme wie „Waterworld“ fand ich deswegen super. Und der andere Reiz ergibt sich über das beliebte Was-wäre-wenn-Spiel. Nimm eine Serie wie „The Walking Dead“: Wenn da das ganze System zusammenbricht, bildet sich ein Minisystem, in dem ganz unterschiedliche Leute aufeinandertreffen und das sozial total gut funktioniert. In einem Mietshaus in Neukölln ist das anders.
Du meinst, wir bestrafen uns selbst und opfern die letzten verteidigungswürdigen Dinge, weil wir glauben, ein besserer Neuanfang ist nur noch nach der kompletten Zerstörung möglich?
Lambert: Könnte doch sein, dass das eine Rolle spielt, wenn die Leute sich für Trump, Brexit oder Erdogan entscheiden. Vielleicht steckt darin auch dieser romantische Gedanke: Das System muss komplett weg, damit wir besser zusammenhalten.
Das erklärt dann auch die Bild-Musik-Schere. Du hast mit der Berliner Künstlerin Moki zusammengearbeitet, die das Booklet gestaltet hat, und ihre Bilder sind wesentlich bedrohlicher als deine Kompositionen.
Lambert: Genau, einerseits gibt es diese Bedrohlichkeit und die Angst, aber auf der anderen Seite auch das romantische Verhältnis dazu. Es wäre zu einfach gewesen, zu den Bildern einen Soundtrack zu komponieren, der auf bedrohlichen Halbtönen und schiefen Klängen aufbaut. Nicht, dass ich dieses positive Verhältnis zum Ende des Systems auch habe – aber ich wollte es kommentieren.
Gab es denn persönliche Ängste, die dir dabei geholfen haben?
Lambert: Ganz klein gedacht habe ich als Musiker lange Zeit das Gefühl gehabt, nicht kompatibel mit dem System zu sein. Wenn du Kunst machst, dann ist ja doch alles irgendwie davon abhängig, ob du damit auch irgendwie einen Taler machst. Sonst bist du sogar in deinem nächsten Umfeld sofort wertlos.
Naja, nachdem deine ersten beiden Alben beim Berliner Indielabel Staatsakt erschienen sind, hast du jetzt bei der Londoner Plattenfirma Mercury KX unterschrieben, und bist damit bei der altehrwürdigen Deutschen Grammophon gelandet. Willkommen in der arrivierten Klassikszene.
Lambert: Ich habe in meiner bisherigen Karriere nie das Gefühl gehabt, Teil einer Szene zu sein. Natürlich habe ich in den Konzertreihen der sogenannten neoklassischen Szene stattgefunden – aber ich bin da mit niemanden befreundet (lacht). Ich kenne ein paar, aber das sind eben Kollegen. Genausowenig werde ich jetzt aber Teil einer klassischen Szene werden. Vermutlich wollen die auch mit mir gar nichts zu tun haben.
Willst du jetzt damit kokettieren, dass für diese Szene deine Skills nicht ausreichen?
Lambert: Ich kann schon Klavierspielen und habe auch eine gewisse Ausbildung hinter mir. Ich hab’ auch mal Chopin gespielt – trotzdem würde ich nicht wagen, jemanden, der bei der Deutschen Grammophon Chopin-Einspielungen macht, das vorzuspielen. Natürlich ist das eine ganz andere technische Qualität, aber da liegt der Fokus ja auch ganz woanders. Die können zum Beispiel keine Stücke schreiben oder improvisieren. Es geht doch immer darum, wie man seine Fähigkeiten umsetzt – und da ist es zunächst mal egal, was das für Fähigkeiten sind.
Generell tendierst du aber immer mehr zu üppigeren Arrangements. Setzt dir das Klavier inzwischen zu enge Grenzen?
Lambert: Reine Klaviermusik will ich erstmal nicht mehr machen, und in Bezug auf das aktuelle Projekt wäre das auch unangemessen gewesen. Ich will mir die Freiheit erhalten, das zu machen, was ich will, und nicht die Erwartungshaltung von Leuten erfüllen, die nur auf den nächsten schönen A-Moll-Akkord warten.
Trotzdem gibt es ja schon einen Lambert-Sound.
Lambert: Ich hoffe aber, dass der in den Stücken liegt: in der klaren Melodieführung und wie ich Improvisationen in meine Stücke einbaue. In meine Kompositionen fließt ein, dass ich eine Jazzausbildung hinter mir habe, popmusikalisch sozialisiert bin, und auch klassische Musik gespielt habe. Aber den Filzpianosound habe ich nicht erfunden.
Umso wichtiger, die Erwartungen der Neoklassikszene zu unterlaufen.
Lambert: Zumindest will ich nicht das Gefühl haben, die Leute kommen zu meinem Konzert, um sich in dem Glauben zurücklehnen zu können, etwas Hochkulturelles zu konsumieren. Die würden ja nie zu einem Debussy-Konzert oder zu Stockhausen gehen. Sondern sie gehen zu diesen postklassischen Konzerten, weil das nirgendwo aneckt und schön ist. Diese Sicherheit will ich meinem Publikum nicht geben.
Interview: Carsten Schrader
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9. 7. Bielefeld
23. 12. Hamburg, Elbphilharmonie