Romantik? Raus damit! Lasse Winkler im Gespräch über sein neues Album „Weltflucht“

Als Acud bespielt Lasse Winkler die Tanzflächen, doch weil er neuerdings auch mal zur Motorsäge greift, erscheint jetzt unter seinem eigenen Namen ein fast schon zartes Popalbum.
Lasse, bei deinem Technoprojekt Acud kommt Klang vor Inhalt, doch wenn du jetzt unter deinem richtigen Namen ein Popalbum veröffentlichst, sind Text und Musik mindestens gleichwertig, oder?
Lasse Winkler: Genau, das ist jetzt mein poetisches Ich. Oder man kann auch sagen: meine romantische Seite. (lacht) Acud ist ja teilweise ein fast schon dadaistisches Projekt, bei dem eher die Form und natürlich der Dancefloor zählen. Ich bin ja nun schon seit 20 Jahren im Technoleben unterwegs, hab Klubs aufgebaut und Booking gemacht. Da hatte etwas so Zartes natürlich keinen Platz. Deswegen musste die Popplatte so lange warten, und es sind Texte dabei, die über zehn Jahre alt sind.
Ein paar punkige Momente gibt es auf „Weltflucht“ aber durchaus auch.
Winkler: Stimmt, es sind zwei Songs dabei, die etwas Rotziges haben: der Titelsong mit dieser kreischenden E-Gitarre von Andreas Spechtl. Und „Ivy“, wo es um meine Großmutter geht, die mit 103 gestorben ist und die immer eine so krasse Kraft ausgestrahlt hat, dass ich den Song auch dementsprechend bauen wollte. Aber im Ganzen betrachtet ist es doch eher eine recht romantische Platte. Es ist auch eine Rückschau auf die Zeit vor zehn Jahren, in der ich mich selbst gefunden habe. (lacht) Ich war damit ziemlich spät dran, weil ich einfach die ganzen 20er durchgeravt habe.
Ist die Popplatte ein einmaliges Abenteuer, und du kehrst jetzt als Acud zum Techno zurück?
Winkler: Ich habe vor, weiter zweigleisig zu fahren. Ich trage eben diese beiden Seiten in mir – und die müssen beide raus. Meine alte Kunstlehrerin hat immer gesagt: Man kann nicht immer nur fressen, man muss auch mal scheißen. Ich kann diese poetische Seite nicht einfach so runterschlucken oder nur in meiner Beziehung ausleben. Auch dafür brauche ich einen künstlerischen Kanal.
Im Opener „Glück auf Zeit“ berichtest du von Momenten, in denen du dich befreit fühlst. Wie findet man die?
Winkler: Ich habe den Song geschrieben, als ich allein durch Marokko gereist bin. Als Tourist sucht man sich ja immer irgendwelche Orte raus, die man sehen will. Aber am Ende ist man ganz woanders glücklich, nämlich irgendwo an einem Durchfahrtsort. Da, wo eigentlich nichts ist, aber das wahre Leben unrasiert vor dir liegt. Wo du einfach nur stillstehst und Beobachter bist.
Du bist seit einiger Zeit raus aus Neukölln, und ein Song wie „Seelenverwandte Bordsteinkante“ beschreibt die Versuchungen des Großstadtlebens. Geht es dir jetzt mehr um ein Zur-Ruhe-Kommen?
Winkler: Nach wie vor bin ich ein totaler Momentmensch, und ich würde nicht sagen, dass ich zur Ruhe kommen will. Im Gegenteil: Eigentlich kämpfe ich immer dagegen an. Zwei Kinder, ein Haus im Nirgendwo in der französischen Auvergne und damit nicht mehr durchgängig Neukölln: Das schreit ja eigentlich danach, dass man sein Nest baut. Aber nach wie vor habe ich dieses wilde, turbulente Leben, auch wenn ich jetzt einen Großteil meiner Zeit auf dem Land lebe. So romantisch ist das auch gar nicht. Jeden dritten Tag bin ich etwa eingeschneit und muss gucken, ob ich überhaupt rauskomme. Ich suche immer noch das Adrenalin. Früher fast immer an der Bordsteinkante, jetzt auch mal mit der Motorsäge im Kiefernwald. Nur Stillstand kommt nicht infrage.