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Kann der Algorithmus kreativ sein?

Grüne Zahlen und Buchstaben auf einem schwarzen Hintergrund. Symbolfoto: Künstliche Intelligenz, angelehnt an das Beispiel LiSA (siehe Text).
(Foto von Markus Spiske von Pexels)

Künstliche Intelligenz wird bereits verlagsübergreifend zur Analyse von Manuskripten verwendet. Was macht das mit den Büchern der Zukunft?

Das Hamburger Unternehmen QualiFiction hatte seit dem vergangenen Herbst einen Lauf, der erst durch die Corona-Pandemie gestoppt wurde. QualiFiction wurde auf der Frankfurter Buchmesse zum Content-Start-up des Jahres gewählt. Die Jury: „QualiFiction hat uns vollends überzeugt.“ Und zwar mit LiSA. Diese „Software zur Analyse von Texten & Bewertung von Bucherfolgen“ macht das, was die Jury so begeisterte: Verlage können mit ihrer Hilfe gezielter vermarkten, effizienter arbeiten, Kosten sparen und besser kalkulieren. Inzwischen hat sogar der Schriftsteller Saša Stanišić sein Buch „Herkunft“ analysieren lassen. Stanišić antwortete kulturnews auf die Frage nach dem Grund: „Ich fand das extrem spannend einfach – zu sehen, wie so eine Software das Buch ,liest‘, das ist eigentlich alles.“

Was kann die Künstliche Intelligenz?

LiSA also. LiSA wird als Künstliche Intelligenz (KI) beworben. Gesa Schöning hat QualiFiction gemeinsam mit ihrem Partner Ralf Winkler gegründet. Sie antwortet auf die Frage, ob das nicht etwas hochstaplerisch sei: „Man muss unterscheiden zwischen schwacher und starker KI. Das wird in den Medien gerne nicht getan. Bei vielem von dem, was in Zukunft mal sein könnte, sprechen wir von starker KI. Was aber heute viel häufiger der Fall ist und was auch wir einsetzen, ist die schwache KI.“ Diese schwache KI geht statistisch vor, sammelt Daten und gewinnt aus ihnen Erkenntnisse. Schöning: „Das ist kein Hokuspokus, aber das Wort KI ist mehrdeutig und deshalb immer sehr ambivalent.“ In der Datenbank von QualiFiction sind mittlerweile über 40 000 Texte gespeichert aus fast allen Bereichen der Belletristik. Alle großen Verlage arbeiten mittlerweile mit dem Start-up zusammen. Details will und kann Schöning nicht nennen – Verschwiegenheitsklauseln stehen dem im Weg.

Kritik von Autor Tom Hillenbrand

Der Sci-Fi-Autor Tom Hillenbrand kennt die Software LiSA nicht, weiß aber über KI bestens Bescheid. „Viele würden sagen, wir haben überhaupt noch keine KI. Ich auch“, sagt Hillenbrand im Interview mit kulturnews. „Was wir haben, sind selbstlernende Algorithmen, die einzelne, ganz spezifische Aufgaben besser machen können als wir, wenn man ihnen sehr viele Daten gibt.“ Bezogen auf Bücher ist das für ihn jedoch eine ganz große Katastrophe. „Nehmen wir an, sie haben die letzten 50 000 Bestseller von der Spiegel-Bestsellerliste durch den algorithmischen Rüttelwürger genudelt und vergleichen das jetzt mit neuen Texten. Das ist natürlich großer Bullshit.“

Dass Hillenbrand hier so austeilt, hat seinen Grund: Die Bücher in der Datenbank sind Bücher aus der Vergangenheit. „Noch weniger, als es mir nutzt zu wissen, was in den letzten fünf Jahren die Bestseller waren“, so Hillenbrand, „nutzt es mir zu wissen, was die Leute 1974 auf der Spiegel-Bestsellerliste richtig geil fanden.“ Nun ist die Trendanalyse nicht das Hauptgebiet von QualiFiction, Gesa Schöning betont aber, dass man lange mit Self-Publishing-Plattformen zusammengearbeitet habe und dies auch noch immer tue. Und den „Twilight“-Hype hätte man damals vorhersagen können – eine Häufung des Vampir-Themas hätte es im Vorfeld bei den Self-Publishern durchaus gegeben.

LiSA entschlüsselt auch die Beziehungen zwischen den Figuren

Doch nicht nur das Leserpotenzial verspricht die Software zu analysieren, auch die Figuren und ihre Beziehungen können aufgeschlüsselt werden, noch bevor ein Mensch das Buch gelesen hat. Und hier stellt sich wirklich die Frage: Ist die KI stark genug dafür? In den Büchern von Tom Hillenbrand können die Figuren von einem Kapitel zum anderen den Körper, das Geschlecht und auch die holografische Kleidung wechseln, selbst menschliche Leser brauchen manchmal drei Buchseiten, um zu kapieren, was da gerade passiert ist. Gesa Schöning gibt zu, dass LiSA hier an ihre Grenzen kommt. „Welche Kleidung die Figuren tragen: Darauf achtet die Software in der Tat nicht so sehr. Sie schaut sich vielmehr die Namen und die Stärke der Beziehung zwischen den einzelnen Protagonisten an.

Wenn die Erzählperspektive von Kapitel zu Kapitel wechselt, ist es für die Software natürlich schwierig, die unterschiedlichen Ich-Erzähler auseinander zu halten. Es ist schon schwierig genug, sie bis zu diesem Level trainieren zu können, und wir haben es geschafft.“ Immerhin: Russische Romane sind also mit etwas Nachhilfe entschlüsselbar. Schöning muss lachen, als nach denen gefragt wird. „Ja, das geht ganz gut. Bei Tolstoi war ich schon erstaunt, wie oft die Namen richtig zusammengesetzt wurden mit allen Abkürzungen und Verniedlichungen.“

Die Corona-Pandemie hatte QualiFiction im März gestoppt. Exakt am Tag des Lockdowns war das erste Buch im neu gegründeten Kirschbuch-Verlag erschienen, Birgit Schliepers Roman „Maike, Martha und die Männer“. Natürlich hatte LiSA an der Auswahl des Manuskripts mitgewirkt. Weitere Veröffentlichungen mussten geschoben werden, jetzt im Herbst aber werden fünf Titel erscheinen. Ein dystopisch-romantischer Roman ist dabei, ein Liebesroman, auch ein Thriller. Mehr als auf die Kritiken darf man ganz besonders auf die Verkaufszahlen gespannt sein. Eines aber sollte man nicht vermuten: dass sich Richard David Prechts Prognose bewahrheitet. Der Philosoph sagt in seinem neuen Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“: „Es ist faszinierend zu sehen, wie das Zeitalter der künstlichen Intelligenz die Philosophie zwingt, den Menschen ganz neu zu sehen.“

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