Lisa Politt: Geburtstagsfeier mit Weihnachts-Special im Polittbüro
Kabarettistin Lisa Politt wurde 65 und feiert mit einem Weihnachtsspecial im Hamburger Polittbüro – gemeinsam mit Gunter Schmidt und Band.
Lisa Politt und Gunter Schmidt spielen im Hamburger Polittbüro ein Weihnachtsspecial, doch diesmal ist es mehr als das: Die Kabarettistin Lisa Politt wurde vor wenigen Tagen 65 Jahre alt, was sie in dem Special gleich mitfeiern will. In der Pressemitteilung zur Premiere am 15. Dezember schreibt Lisa Politt dazu:
„Was sollen wir lange drumrumreden: Lisa ,Die Pollit‘ Politt wird 65. Rentenalter. Was hat sie also noch auf der Bühne verloren? Nun: Sie hat keinen Chef, der sie entlassen könnte. Und der charmante Gatte ist zu feinfühlig oder scheut ihre Reaktion, sollte er sie darauf ansprechen.“ Nun: Wir schicken die besten Wünsche ins Polittbüro und veröffentlichen gleich noch mal ein Interview, das kulturnews im Jahr 2014 mit Lisa Politt und Gunter Schmidt geführt hat, damals anlässlich eines Bühnenjubiläums: Das Duo stand damals seit 30 Jahren (auch als die Formation Herrchens Frauchen) auf der Bühne.
In der Band des Weihnachtsspecials werden spielen: Gunter Schmidt am Piano, Wanja Hasselmann am Schlagzeug, an der Gitarre Arne Horstmann, Tochter Sarah Politt wird singen, ebenso Thorsten Saleina. Im Polittbüro gilt die 2G-Regel, außerdem gibt es eine exzellente Raumluftanlage.
Lisa Politt erhielt 2003 als erste Frau überhaupt den Deutschen Kabarettpreis und zwei Jahre später den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett. Untenstehend das Interview mit der scharfzüngigen, politisch Klartext sprechenden Kabarettistin Politt sowie mit ihrem Partner Gunter Schmidt, das weiter hochaktuell ist und viel darüber erzählt, warum Lisa Politt noch immer auf der Bühne steht.
„Man muss die Leute verführen“
Sie ist die politisch schärfste Kabarettistin Deutschlands, er von Corny Littmann und dessen schwulem Kabarett der 80er und 90er politisch geprägt. Den gesamten September über feiern Lisa Politt und Gunter Schmidt ihr 30-Jähriges.
Interview: Jürgen Wittner
Frau Politt, drei alte Stücke innerhalb eines Monats: Sie haben gestöhnt angesichts dieser Arbeit, als wir das Interview vereinbarten.
Lisa Politt: Ich schreibe mir selbst immer richtig lange Texte. Der Autor in mir ist da sehr am hadern mit der Schauspielerin in mir.
Gunter Schmidt: Aber die Regisseurin prügelt’s rein. (beide lachen)
Politt: (zu Schmidt) Das ist lustig, hä? Dieser Gewaltakt. Wenn ich das mit mir selber mache und es an dir vorbeigeht. Das kann ich mir gut vorstellen. Ich hab einmal eine Kritik gekriegt, in der drinstand, ich hätte den Gottesbeweis mit mir selbst angetreten und versucht, einen Text zu schreiben, der so kompliziert ist, dass nicht mal ich ihn lernen kann. Das fand ich mal ne schöne Betrachtung!
Na, zumindest klagen und stöhnen Sie jetzt nicht wie neulich.
Politt: Mich reizt es, komplexe Gedankengänge plastisch erfahrbar zu machen.
Haben Sie mit dem Einstudieren bereits begonnen?
Politt: Nein, aber ich nähere mich dem Sujet an. Ich denke darüber nach. Ich habe mir auch erklären lassen von Kollegen, dass es gar nicht mal so unüblich ist, sich zuerst mal mit den Requisiten zu beschäftigen und den Aufbau gedanklich durchzugehen. Außerdem habe ich im Laufe meiner Bühnentätigkeit gemerkt, dass ich über Gänge meine Texte memoriere. Wenn mir ein bestimmter Text fehlt, wenn ich einen Aussetzer habe, stelle ich mich an den entsprechenden Teil der Bühne, und er fällt mir wieder ein.
Herr Schmidt, wie sind Sie zum Kabarett gekommen?
Schmidt: Bei mir lief das über Corny Littmann, mit dem ich in den 1980er-Jahren Schwulentheater machte. So nannten wir das damals, aber es war eigentlich Kabarett, mit Liedern von Georg Kreisler und anderen.
Sie sind studierter Kirchenmusiker.
Schmidt: Ich hab das studiert, weil es ein Musikstudium ist, wo man alles kriegt: Dirigieren, komponieren, arrangieren. Klavierunterricht, Gesangsunterricht. Ein zweites Instrument, in meinem Fall Orgel. Das ist eine sehr umfassende Ausbildung, aber ich hatte nicht vor, in der Kirche zu bleiben.
Politt: Hat er aber gemacht! Für die Katholiken und für die Evangelen, Anfang der 1980er! Und er hat dadurch auch die wunderbare Gelegenheit gehabt, in der Kirche gegen den Papstbesuch zu demonstrieren und als hochschwangere Maria einen Ballon abzutreiben. Auf Rollschuhen. Mit einem Kassettenrekorder am Ohr, wo das „Ave Maria“ lief. Das hat dann im Spiegel einer seiner heiligen Vorgesetzten gelesen.
Schmidt: Der Bischof hat dem Pastor geschrieben, was das denn sei.
Und in der Folge wechselten Sie zum Kabarett? Mussten Sie aufhören?
Schmidt: Das ist parallel gelaufen. Ich wollte sowieso aufhören, aber das war es dann natürlich.
Politt: Ich konnte mit 14 die erste Band überreden, dass ich singen durfte. Als ich zum Studium nach Hamburg kam, habe ich wieder eine Band gesucht, aber keine gefunden. Durch Zufall ergab es sich, dass ich mit Ernie Reinhardt sprach, mit dem ich in die 12. Klasse gegangen war. Der sagte: Komm doch wenigstens so lange in den Tuntenchor. Dann habe ich gedacht: Gott. Na gut. Da aber stand dann Herr Schmidt mit langen blonden Haaren und hat dirigiert. Ich hab sofort gedacht: Das ist meiner. Ich fand ihn rattenscharf und hab ne Großoffensive gestartet. Aber es hat gedauert. Ich war ne arme Studentin, und dennoch ist jede Menge Geld für Pralinen und Blumen draufgegangen und sonstiges Zeug, das man kaufen muss, wenn man auf Freiersfüßen ist. (Lisa Politt lässt ihr dreckiges Lachen raus, das man von der Bühne nur zu gut kennt)
Dann sind Sie durch Gunter Schmidt zum Kabarett gekommen?
Lisa Politt: Ja. Ich wollte eigentlich was vernünftiges singen. Ich hatte aber auch eine harte Umschulungsphase damals. Bis dahin war ich, wenn ich mit einer Band aufgetreten bin, immer nur mit Augen zu und besoffen auf der Bühne. Ich hab sonst gar nichts gemacht, weil ich eine derartige Angst vor dem Pulbikum hatte. Ähnlich war das bei unserem ersten Soloprogramm, „Fühlt euch wie zuhause“. Als ich das später auf Video noch mal anschaute, dachte ich nur: Warum haben sich die Leute das eigentlich angeguckt, anstatt schreiend rauszurennen? Damals habe ich mich in der Garderobe versteckt, bis alle weg waren. Mittlerweile ist es mein liebstes, direkt auf die Leute zuzugehen und ihnen ins Gesicht zu reden.
Wodurch wurden Sie politisiert?
Schmidt: Über die Schwulenbewegung. Corny hatte ja sehr früh schon Schwulentheater gemacht, auch schwules Musiktheater mit Brühwarm. Das waren politische Aktionen. Das war gegen die Normalität, gegen die Sexualmoral und für eine freie und selbstbestimmte Sexualität. Da haben wir fast nur in politischen Zusammenhängen gespielt.
Politt: Bei mir war es die Politisierung, das Genre war da eher nachrangig. Es war die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, und zwar von Jugend an. In der Gegend, wo ich herkomme, die Heide: Da gab es während während des zweiten Weltkriegs die größte unterirdische Munitionsfabrik. Jeden Tag wurden damals 30 000 Zwangsarbeiter durchs Dorf in die Fabrik getrieben, und jeder im Dorf wusste das. Der Zwang zur Verdrängung war zu meiner Jugend so groß, dass man gar nicht umhinkam, sich mit der Frage zu beschäftigen. Man wurde entweder extrem anpassungsbegabt oder aufrührerisch.
Wann ging die Politisierung über die Schwulenbewegung bei Ihnen los, Herr Schmidt?
Schmidt: Da bin ich ebenfalls noch zur Schule gegangen. Ich habe Corny schon als Schüler kennengelernt und gelegentlich bei Brühwarm mitgemacht. Brühwarm trat damals mit Halbplaybacks auf, die „Ton Steine Scherben“ für sie aufgenommen hatten. Mit mir zusammen wurden Schritte in Richtung Live-Musik begonnen.
Politt: Corny Littmann hat ihn mal vom Gymnasium abgeholt in einem rosa Mercedes mit goldener Stoßstange. Ich fand das geil! Für so was hätte ich meine sexuelle Ausrichtung bestimmt auch drangegeben.
Lisa Politt: „Ein einziges großes Anbahnungsinstitut“
Waren Sie jetzt eigentlich zuerst beruflich zusammen oder zuerst privat?
Politt: Beruflich.
Im Tuntenchor.
Politt: Ja. Also sagen wir mal so: Eigentlich war das damals ein einziges großes Anbahnungsinstitut. Von diesem Bewegungstheater – und damals hat man damit nicht Tanztheater gemeint, sondern soziale Emanzipationsbewegung – war ich als mich als links verstehende Feministin ja auch Teil. Die ganze Homosexuellenszene hatte zu der Zeit ein politisches Fundament, eine Ausrichtung, so wie das gesamte Bewegungstheater, mit dem es eine große Schnittmenge gab. Wir versuchten damals herauszufinden, ob Schwule, die die Rollenkonformität ablehnen, und Emanzen, die das auch tun, eine Schnittmenge haben.
Wie war das noch mal mit dem Anbahnungsinstitut?
Politt: Das war vor den Zeiten von Aids – das muss man sich mal vorstellen! –, wir hatten eine sexuell unglaublich aktive Zeit. Sagen wir mal so: Wir waren alle vom Erkenntnisinteresse im Foucault’schen Sinne durchdrungen. Das war unglaublich toll, und es tut mir für jeden Leid, der sich im Zuge von Aids nicht mehr so frei entfalten kann. Dafür wurde das mit dem politischen Interesse gerne auch mal ein bisschen … hingenommen, ne? Und: Ich war hinter Schmidt her. Da musste ich dann gucken, dass ich Tätigkeiten vorschiebe. Dass ich mal ein Duo mit ihm singe. Vieles davon war gelogen. In Wirklichkeit hätte ich aber lieber in ner Rockband gesungen, also ehrlich! Als mich im Tuntendiskant zu üben. Aber irgendwann hatte ich ihn dann so weit. (lacht gerade raus)
Schmidt: Aber auch in künstlerischer Hinsicht war man in alle Richtungen tätig. Der Tuntenchor hatte ein eigenes Ballet, auch ein eigenes Orchester und irgendwann über Johannes Heer auch Verbindungen zum Schauspielhaus. Wir haben die Revue „Rein oder nicht rein“ für den Malersaal gemacht.
Politt: Ganz wichtig war damals die blanke Provokation. Das hat mir extrem viel Spaß gemacht.
Wie blicken sie zurück auf Ihr Mitwirken in der Schwulenbewegung damals?
Politt: Es verschwindet gegenwärtig aus dem Bewusstsein, dass Schwulsein damals noch etwas anderes hieß, als gesellschaftlich anerkannt zu werden. Das entwickelte sich analog zu anderen Partialbewegungen. So wie für heute sich emanzipiert wähnende Frauen der Beweis der Emanzipation unsere Bundeskanzlerin ist. Wo ich sagen würde: Das ist eher der Gegenbeweis. Denn es besteht kein grundsätzlicher Wunsch nach gesellschaftlicher Emanzipation, so dass die Bewegung aufhört zu existieren, sobald die Partialinteressen erfüllt sind.
Schmidt: Bei der Schwulenbewegung wurden im Laufe der Zeit aus den Demonstrationen Paraden, und die Einführung der Homoehe zeigt, wohin der Trend ging: wo normal zu sein wie alle anderen. Die Schwulenbewegung aber hätte dann etwas erreicht, wenn es ihr gelungen wäre, die Ehe als Institution abzuschaffen! Aber doch nicht, indem sie Teil davon wird! Das entspricht überhaupt nicht meinem Ansatz, das ist völlig absurd.
Politt: Wenn die gesellschaftliche Emanzipation abgeschlossen ist mit der der individuellen Zufriedenheit, dann kann’s das nicht sein. Aber wenn man ne grundsätzliche Frage nach der Verfasstheit unserer Gesellschaft stellt, dann ist der Fakt, dass mittlerweile eine Frau dabei hilft, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in aller Welt mit militärischen Mitteln durchzusetzen, das endgültige Versagen der Bewegung. Wenn ich mit Gleichberechtigung ein grundsätzlich ähnliches Existenzrecht verschiedenster Menschen unabhängig von ihrer Nation meine, dann ist das Primat der individuellen Zufriedenheit der Kotau. Wenn es heißt: So lange ich zufrieden bin und der andere nicht, hat sich für mich die Gleichberechtigung erfüllt! Dann ist der Gedanke schon im Kern falsch, denn es ist keine Gleichberechtigung, sondern nur ein Einordnen in einer Hierarchie. Auch BDM-Mädels oder KZ-Wärterinnen waren ja nicht emanzipiert. Sondern einfach nur mächtig.
Wenn Ihnen das Politische so wichtig ist, wie machen Sie es in Ihren Programmen konsumabel? Wenn ich Sie so höre, scheint mir Ihnen die Form nachrangig. Sehe ich sie aber auf der Bühne, beweisen Sie, dass das so nicht ist.
Politt: Nein, das ist Handwerk! Man muss die Leute verführen. Unterhaltung und das Politische sind in unserem Konzept nicht voneinander zu trennen. Wenn man was anders machen will als Feierabendkabarett – das wäre eine kontinuierliche Fortsetzung des täglich Erlebten –, muss man den Leuten einen Grund dafür liefern, dass sie sich auf andere Denkgewohnheiten einlassen. Dass sie einen Konflikt als lustvoll erleben und nicht als erdrückend wie in der zementierten Hierarchie, wie wir sie heute haben. Schon Brecht hat gesagt: Als erstes hat das Publikum ein Recht darauf, unterhalten zu werden.
„Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd“
Wo haben Sie sich das angeeignet? Eine Ausbildung in diese Richtung haben Sie ja nicht absolviert.
Politt: Das war Learning by Doing. Wenn Sie mich aber als Psychologin fragen: In der Familie. Die Auseinandersetzung in meiner Familie war für mich als Jugendliche sehr gefährlich. Meine Eltern haben beide geschlagen, was damals vollkommen normal war. Meine Mutter aber hatte einen großen Bedarf an Verbalisierung ihrer eigenen unterdrückten Inhalte. Die hatte selber einen ganz großen Zweifel. Und sie hatte mich quasi als Hofnarren. Gefährlich war, wenn sie merkte, dass sie sich selbst auf zensiertes Gebiet begeben hatte. Wenn da der Unterhaltungswert nicht groß genug war und sie mir das übel nahm, drohte eine Ohrfeige. Im umgekehrten Fall hab ich einen hohen Sympathiewert gehabt, und sie hat gelacht. Ich habe verbalisiert, was sie in ihrer eigenen Wahrnehmung unterdrückt hat, und musste gut sein dabei. Das war hochemotional aufgeladen.
Sie haben in der Familie gelernt gut zu sein, sonst werden Sie abgestraft.
Politt: Ja. Es gibt dieses chinesische Sprichwort: Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Ich war hart darauf trainiert, den Ohrfeigen zu entgehen und statt dessen Gelächter zu kriegen. Da fängt man schon mal an, das Handwerk zu polieren.
Herr Schmidt, Sie sind bei Herrchens Frauchen für die Musik zuständig. Schreiben Sie auch am Text mit, oder sind Sie eher ein Korrektiv für Lisa Politt?
Schmidt: Korrektiv bin ich selten. Ich schreibe aber die Texte für meine Parts. Und da das erste Stück hauptsächlich über Improvisation entstanden ist, kann man gar nicht mehr trennen, was von wem ist.
Politt: Einen Regisseur hatten wir damals schon gar nicht, weil das aus politischen Gründen abgelehnt wurde. Das haben wir bis heute so beibehalten mit ganz wenigen Ausnahmen, in denen wir mit einem Ensemble spielten. Deshalb haben wir ein sehr feines Instrumentarium, aufeinander zu achten. Wir richten uns in unseren Duo-Stücken extrem aneinander aus. Wenn ich meine Texte sage, merke ich zum Beispiel auch bei ihm als erstem Zuhörer, ob er Interesse hat.
Wenn er ein Bier holen ginge …
Politt: Wäre das ein sehr schlechtes Zeichen.
Wenn Sie jetzt nach 30 Jahren zurückblicken: Was haben Sie erreicht?
Politt: Den Luxus, einen Beruf zu haben, der genauso ist, wie man ihn sich vorstellt. Wenn mir etwas von dem nicht mehr gefällt, was ich auf der Bühne mache, kann ich das sofort ändern. Da das Fernsehen sich in einer sehr frühen Phase von uns verabschiedet hat, weil unsere Inhalte ins Öffentlich-Rechtliche nicht passen, habe ich so was wie einen Zensor in mir überhaupt nicht entwickelt, wo Kollegen vielleicht Schwierigkeiten haben und sich überlegen: Komme ich damit in die ARD oder nicht? Ich richte mich mit dem Handwerk komplett am Publikum aus, und inhaltlich habe ich niemanden, mit dem ich irgendwelche Absprachen treffen muss. Es ist erstaunlich, dass wir – obwohl wir nicht im Fernsehen sind – einen derartigen Zulauf haben; dass wir höchste Preise gekriegt haben. Es ist trotzdem schwierig, weil das Publikum das, was wir machen, schon kaum mehr als Kabarett kennenlernt übers Fernsehen.
Eigentlich wollte ich fragen, was Sie politisch erreicht haben.
Politt: Wir haben politisch nichts erreicht im Kabarett.
Weil eh nur die zu Ihnen kommen, die Ihrer Meinung sind?
Politt: Nein. Die ganze Gesellschaft befindet sich in einem unglaublichen Rollback. Das Kabarett, das auf leichte Weise reich werden will, macht staatstragendes Genörgel. Wenn man eine grundsätzliche Kritik an der gesellschaftlichen Verfasstheit hat, hat man es schwerer. Was wir erreichen können im Kabarett – das gilt aber für alle Zeit und grundsätzlich –, das ist, Konfliktfähigkeit zu stärken. Und die Dinge in einem anderen Licht zu zeigen, als sie tagtäglich gezeigt werden.
Wie meinen Sie das?
Politt: Um mal wortwörtlich zu werden: Wie beleuchtet man eine Szenerie? Allein das vermittelt einen Eindruck davon, wie unterschiedlich die Bewertung ein und derselben Szene ist, wenn man die Dinge von einer anderen Seite zeigt. Das ist unsere Aufgabe: Überhaupt noch die Möglichkeit aufrecht zu erhalten, die Dinge von verschiedenen Seiten zu sehen, eine fundamentale Kritik zu leisten. Für mich ist der Ort des gesellschaftlichen Widerspruchs das Kabarett. Ich glaube aber nicht, dass diese Meinung unter meinen Kollegen konsensfähig ist.
„Kreisler hat sein letztes Lied für uns geschrieben“
Der Ort des gesellschaftlichen Widerspruchs ist das Kabarett? Ich dachte, das Kabarett sei seit langer Zeit tot.
Politt: Ja, das ist lustig. Gott ist tot, sagt ja auch jeder auch nur etwas konfliktgeschulte Pfaffe. Es gibt aber einen ganz tollen Brief von Georg Kreisler, der sich mit der These beschäftigt, und zwar Mitte der 50er-Jahre. Darin schreibt Kreisler, „das Kabarett ist nicht tot, solang der Staat lebt“. Der Sinnzusammenhang, den er da zieht, ist ganz, ganz schwarz. Denn er sagt: Im Grunde genommen braucht es zur Aufrechterhaltung einer Staatsform das Kabarett, wo man sich abends ventilhaft darüber erleichtern kann, was man tagsüber gefressen hat. „Man ist nicht rechts, man ist nicht links, man ist modern. Man ist Vermittler, wie schon bei Hitler.“ Ich mache aber gerade einen Fehler, denn wenn man Kreisler als Meister des schwarzen Humors feiert, dann ist das eine Rezeption, die auslässt, was er in Wirklichkeit ist: ein fundamentaler Kritiker bestehender politischer Verhältnisse. Übrigens hat Kreisler sein letztes Lied für uns geschrieben, für die Produktion „Die sieben Todsünden“, die wir jetzt wiederaufführen. Ich bat damals Kollegen, für uns jeweils einen Song über die Elbphilharmonie zu schreiben. Fatalerweise war es sein letztes Lied.
Ist aber ein schönes Vermächtnis!
Schmidt: Ja, und auch ein schönes Lied über die Elbphilharmonie.
Politt: Ich wusste zwar, dass es ihm nicht so gut ging, hatte ihn aber einfach angeschrieben, denn wir kannten uns. Zunächst kriegte ich keine Antwort. Plötzlich aber kam dieses fertige Lied, mit der Bemerkung: Bin in Amerika in meinem Feriendomizil auf die Fresse geflogen, hatte aber noch keinen Bock zum Sterben und schreibe für Sie natürlich selbstverständlich folgendes Lied. Ein toller Mann!
Themenwechsel. Vor elf Jahren haben Sie den Kabarettpreis bekommen, und vor neun Jahren den deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett. Beides waren die Hauptpreise. Sie waren damals die erste Frau überhaupt, die die Preise erhielt, und sie sind bis jetzt die einzige Frau geblieben. Was sagt das über die Preisvergabe?
Politt: (zögerlich) Jaaa! Ich bin ja damals am Telefon mal von einer Kollegin fast vorwurfsvoll gefragt worden: Warum denn eigentlich Sie und nicht ich? Und da hab ich gesagt: Wahrscheinlich bin ich das Männlichste, was sie unter den Frauen finden konnten.
So hab ich das noch nicht gesehen. Interessanter Ansatz.
Politt: Es kann so sein. Auf der anderen Seite wird mir das auch immer wieder zur Falle, dass ich tatsächlich gar keine Zeit damit verschwende, mich als Frau auf die Bühne zu stellen mit der Behauptung, dass ich das auch kann. Nach der Verleihung des Kleinkunstpreises stand das Telefon nicht mehr still, alle wollten Interviews. Nach dem 15. Telefonat hab ich zu Gunter gesagt: Ich hab die Schnauze voll. Immer lautete die erste Frage: Warum Sie als Frau? Beim nächsten Interview hab ich geantwortet: Eigentlich haben Sie Recht, beim nächsten Mal versuche ich es als Mann. Die Absurdität dieser Fragestellung war unglaublich! Mit jedem anderen Kollegen hätten die Journalisten schon längst über seine inhaltliche Arbeit gesprochen.
Lisa Politt: „Die Geschlechternorm im Kabarett ist unglaublich reaktionär“
Und warum wird ihnen zur Falle, dass Sie Ihr Frausein auf der Bühne nicht zum Thema machen?
Politt: Ich verschwende nicht die Hälfte des Abends damit, über meine geschlechtliche Zugehörigkeit zu reden, sondern lege einfach los. Und wenn ich es doch tue, tue ich das innerhalb einer linken Gesellschaftstheorie. Was viele meiner Kolleginnen häufig tun und womit sie dann auch großen Erfolg haben, ist: dass sie zu dick, zu doof oder sonst was sind. Das ödet mich extrem an, und ich bin selber ein bisschen ratlos. Ich denke einerseits zwar, dass Frauen unter einem größeren Anpassungsdruck stehen als Männer, bin aber auch immer wieder verzweifelt, wenn ich mich mit Kolleginnen nach Feierabend unterhalte und merke, was die intellektuell und vom Grad ihrer Belesenheit drauf haben, wovon im ganzen Abendprogramm kein einziges Mal die Rede ist!Das bringt mich echt zur Raserei. Ich frage mich, wieso das ist, ich weiß es andererseits aber schon. Wenn man als Frau auf die Kabarettbühne geht, kriegt man den roten Teppich ausgerollt. Vom Feuilleton und von den Öffentlich-Rechtlichen. Man kann nix falsch machen. Außer man geht in einem 45-Grad-Winkel weg von der Richtung, in die der rote Teppich ausgerollt ist. Dann nämlich kriegt man richtig eisigen Wind von vorne. Dass das nicht jede Frau abkann, verstehe ich. Dazu werden wir nicht erzogen.
Schmidt: Kabarettist ist ein Männerberuf wie katholischer Priester.
Politt: Die Geschlechternorm im Kabarett ist unglaublich reaktionär. Spießig.
Schmidt: In der katholischen Kirche können Frauen sich ja auch engagieren. In der Seelsorge, in der Pflege, sie dürfen schon auch mal die Predigt halten.
Wie fühlen Sie sich unter solchen Umständen als Stellvertreterin aller in der Kleinkunst agierenden Frauen?
Politt: Ich bin nicht die Stellvertreterin. Würde es eine Vollversammlung der deutschen Kabarettistinnen geben, würden sie mich sicherlich nicht in den Vorstand wählen. Die Schnittmenge, die ich da hätte, wäre verschwindend gering.
Wir haben immer noch nicht erörtert, dass Ihnen die Art Kabarett zu machen – männlich, analytisch, intellektuell –, zur Falle wird.
Politt: Dass ich in einer gesellschaftlich tradierten männlichen Art und Weise agiere, wird mir zum Vorteil bestimmt genauso wie zum Nachteil. Viele finden es erschreckend, dass ich durch Charme unabgefedert meine Präsenz entfalte. Mein Verständnis der Geschlechterrollen ist ja sowieso ein soziales. Ich glaube, dass Rollennormen andressiert und nicht von der Biologie vorgegeben werden. So gesehen habe ich mich weit auf fremdes Gebiet begeben und kriege dafür einerseits Anerkennung und auf der anderen Seite Schläge. Aber ich leide nicht permanent darunter, das ist mein Biotop.
Unter welchen Umständen können Sie sich eigentlich ein Leben ohne Bühne vorstellen?
Politt: Es ist manchmal gar nicht so schwierig, sich das vorzustellen. Aber das ist natürlich immer nur blanke Theorie. Als wir mal auf Barbados waren und nach sechs Jahren mal wieder Urlaub hatten, hab ich zu Gunter gesagt: Honecker hat doch das Politbüro auch aus dem Ausland abgewickelt. Denn ich hatte spontan das Gefühl, ich sollte da bleiben, wo ich gerade bin. Aber das ist natürlich immer die Theorie. Man wünscht sich mehr freie Zeit. Das aber ist eine Illusion. Wenn man eine Bühne so führt, wie wir sie führen – und grundsätzlich sind wir damit auch zufrieden –, dann ist man auch vor Ort, denn es ist ein ganz großer Zugewinn, dass man mit den Geschehnissen in Kontakt ist. Der Wunsch nach einer längeren Pause ist ja was anderes als die grundsätzliche Abwesenheit von der Bühne. Und ich habe immer noch extrem viel Spaß an einem guten Abend. Ob ich etwas angucke oder selber auftrete, ist dabei vollkommen egal.
Schmidt: Auf Barbados waren wir drei Wochen. Der Gedanke mit der Abwicklung war ganz am Anfang da. Dann haben wir uns auf der Insel schon nach Räumen umgeguckt und kamen ins Überlegen, wo man die Bühne hinstellen könnte. Ich hab darüber nachgedacht, ob auf Barbados eine Marktlücke sein könnte. Deutsches Kabarett auf Barbados gibt es noch nicht!
Lisa Politt: Das war ein vollkommen verfallenes Gebäude im Empire-Stil. Ganz offensichtlich aus dem Nachlass der abgezogenen Engländer.
Schmidt: Die Tauben flogen durchs Dach …
Politt: Ganz, ganz toll. Ganz toll. Da hätten wir bestimmt bis zum Lebensende ordentlich zu tun gehabt.
Schmidt: Renovieren musste man erst mal.
Politt: Was wohl die drohende Vision war. Und die Erkenntnis brachte, dass wir im Polittbüro doch weniger Arbeit haben als in dem Kasten!