Lukas Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen
Lukas Rietzschel ist der tragische Nutznießer von Chemnitz: Nach den fremdenfeindlichen Übergriffen steht sein grandioses Debüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ plötzlich auf der Bestsellerliste.
Lukas, nach Chemnitz wird dein Debüt allerorten als Schlüsselroman gefeiert, der nachvollziehbar macht, wie junge Sachsen zu rechten Gewalttätern werden. Nervt es dich manchmal, dass alle mit dir über Politik sprechen wollen und die literarische Qualität des Buches darüber oft vernachlässigt wird?
Lukas Rietzschel: Es gibt schon ein paar Rezensionen, die sich damit beschäftigen, wie in meinem Text Sprache funktioniert oder wie ich mit den Figuren arbeite, was gesagt und was vor allem nicht gesagt wird. Aber es stimmt natürlich, dass ich vor allem auf politische Aspekte oder auf meine Biografie angesprochen werde. So schade ich das finde, bin ich aber auch ein politisch engagierter Mensch und hätte das Thema nicht gewählt, wenn ich es nicht auch die ganze Zeit im täglichen Leben verarbeiten würde.
Hast du da für dich Grenzen abgesteckt, um nicht demnächst als Rechtsextremismus-Experte in jeder zweiten Talkshow zu sitzen?
Rietzschel: Wenn es um Sachsen und Ostdeutschland ging, habe ich den Diskurs viel zu lange so wahrgenommen, dass über Sachsen geredet wurde – aber niemals zusammen mit Sachsen. Da finde ich es schon mal gut, dass ich in den Redaktionen jetzt als jemand auf der Liste stehe, der da Auskunft geben kann. Das mache ich auch gern, nur bin ich eben weder Politiker noch Sozialwissenschaftler, sondern Künstler.
Durch bestimmte Bezüge hast du ein bisschen auch selbst den Fokus auf eine konkrete politische Leseweise gelenkt.
Rietzschel: Wegen Chemnitz ist das Buch jetzt als Roman der Stunde vermarktet worden – aber so ist der Roman nicht angelegt gewesen. Es ist ja doch eher eine ruhige Geschichte, die gar nicht so radikal daherkommt, wie man es vielleicht vermuten mag.
Vielleicht hätte es geholfen, wenn du fiktive Ortsnamen gewählt hättest und nicht etwa Hoyerswerda oder Heidenau.
Rietzschel: Bei Neschwitz habe ich das ja getan. Ich habe zwar den Namen verwendet, trotzdem spiegelt mein Dorf im Roman nicht das real existierende Neschwitz. Aber gerade Hoyerswerda und Heidenau sind so wichtige Namen, die für etwas in diesem Entfremdungsprozess stehen, dass ich da gar nicht drumherum gekommen bin. Ich hatte schon den Anspruch, wirklich zeitgenössische Literatur zu produzieren, die Wirklichkeit verarbeitet. Mein Auslöser war ja gerade, dass ich keinen Roman gefunden hatte, der sich mit Heidenau, Bautzen oder Freital beschäftigt. Es sollte um diese Eskalationshierarchie seit 2014 gehen, und ich wollte mit der konkreten geografischen Region arbeiten.
Ein Autor aus dem Westen hätte diesen Job vermutlich nicht übernehmen können, ohne dass es anmaßend gewesen wäre, oder?
Rietzschel: Prinzipiell kann man über alles schreiben, ohne es selbst erlebt zu haben. Trotzdem glaube ich, dass ich einen Wissensvorsprung und auch einen emotionalen Vorsprung vor Leuten habe, die dafür herkommen müssten. Ich bin mit Menschen aufgewachsen, die den Figuren im Roman ähneln. Ich kenne diese Brüche in den Biografien, ich kenne die Alkoholiker und diese sogenannten Stasileute, über die geredet wird. Ich bin nah genug an ihnen dran, um das aufzusammeln, was ihnen weh tut. Überraschenderweise habe ich von den Leuten hier auch noch keine Kritik einstecken müssen. Vielleicht, weil sie merken, dass ich sie weder bemitleide, noch mich von oben herab über sie lustig mache.
Geht es um ein Verantwortungsgefühl, wenn du in der Region bleibst und jetzt in Görlitz lebst statt wie fast alle Autorenkollegen nach Berlin zu ziehen?
Rietzschel: Unbedingt. Ich will mich engagieren und zeigen, dass wir hier nicht in der Minderheit sind. Wir stellen uns dagegen, wenn Nazifestivals mit diesem Rechtsrockscheiß stattfinden. Wir kämpfen gegen die AfD, die hier ein Bundestagsmandat hat und immer stärker wird. In Berlin oder Leipzig ist es keine Leistung tolerant, antirassistisch und antisexistisch zu sein. Das bekomme ich auch hin, wenn ich ständig mit Leuten zusammen bin, die meine Ansichten teilen. Hier ist das einfach ein anderes Ding, und ich will da sein, wo es nicht bekömmlich ist und auch mal wehtun kann. Abgesehen von den politischen Aspekten finde ich es auch literarisch interessanter: Hier bin ich viel näher an den Themen, die die Gesellschaft bewegt. Es bringt mir nichts, wenn ich in ein urbanes Zentrum gehe und da in einer Blase lebe.
Interview: Carsten Schrader
Philipp und Tobias wachsen in der Nachwendezeit in Sachsen auf. Die Perspektivlosigkeit wird immer erdrückender, und als auch ihr Heimatdorf Flüchtlinge aufnehmen soll, eskaliert die Situation: Während der eine Bruder sich immer stärker in sich selbst zurückzieht, findet der andere ein Ventil für seine Wut.
Lukas Rietzschel Mit der Faust in die Welt schlagen
Ullstein, 2018, 320 S., 20 Euro