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An stillen Orten: Marika Hackman im Interview zu „Big Sigh“

Marika Hackman
Marika Hackman (Foto: Steve Gullick)

Warum „Big Sigh“ ihr bisher bestes und intimstes Album ist? Marika Hackman hat sich dafür auf der Toilette verbarrikadiert.

Marika, Kräutertee trinken, besser keinen Spaß haben und auf die Atmung achten. Danke für „No Caffeine“, das ist ein echter Servicesong, um durch diese seltsame Zeit zu kommen.

Marika Hackman: (lacht) Gern geschehen. Wir haben derzeit wohl alle mit Ängsten zu kämpfen. Da ist es gut, wenn wir uns über Methoden austauschen, wie man sich beruhigt und ein bisschen runterkommt.

Es ist auch gut, dass du den Songs an den Anfang deines neuen Albums „Big Sigh“ gestellt, denn so sind die Hörer:innen ein bisschen gepolstert …

Hackman: Ich habe mich aus musikalischen Gründen so entschieden, aber es stimmt natürlich. Die Platte geht an ziemlich dunkle und traurige Orte, fängt angstvolle und auch depressive Zustände ein. Da ist es in der Tat ganz gut, wenn man eine Rüstung anlegt, bevor man sich darauf einlässt.

Ist das auch der Grund, warum du von „Big Sigh“ als deinem bisher schwierigsten Album sprichst?

Hackman: Es ist eine klassische Pandemie-Platte. Ich habe mich hingesetzt, und plötzlich sind längst vergangene Dinge an die Oberfläche gekommen, die aufgearbeitet werden wollten. Musikalisch steht der um das Klavier gebaute Schönklang für den ländlichen Schutzraum der Kindheit, während Störer und Industrial-Elemente das Erwachsenendasein repräsentieren. Es ist meine mit Abstand introspektivste Platte, für die ich sehr tief gegraben habe. Während meine anderen Alben von einer an mir angelehnten Figur handeln, geht es hier ganz klar um mich. Und schwierig war auch, dass ich im Lockdown sechs Monate lang komplett mit dem Songschreiben aufgehört hatte. Danach war es schwierig, mich daran zu erinnern, wie man das eigentlich macht.

Mir gefällt es, dass du diese Blockade ausgerechnet auf einer Bartoilette überwunden hast, wo du dir deine kurz zuvor erstellten Handyaufnahmen angehört hast.

Hackman: Generell empfinde ich Badezimmer als Freiraum und Ruheort, weil ich die Tür abschließen und mich sammeln kann.

Der Ort steht auch dafür, dass du als Texterin nicht die im Pop üblichen Oberflächen bedienst und alles andere als geleckt über das Leben, über Liebe und Sex schreibst.

Hackman: Von Anfang an war mir dieser Realismus wichtig. Wir schrecken davor zurück, weil es zunächst grotesk und vielleicht auch ekelig klingt, doch nichts veranschaulicht Menschlichkeit besser als Körperflüssigkeiten. Wir wissen alle sofort, was gemeint ist – und darin liegt für mich in gewisser Weise auch eine Sanftheit.

„Wir schrecken davor zurück, weil es zunächst grotesk und vielleicht auch ekelig klingt, doch nichts veranschaulicht Menschlichkeit besser als Körperflüssigkeiten.“

Meine Lieblingstextzeile ist aus „Vitamins“: „Mum says I’m a waste of skin/A sack of shit and oxygen“.

Hackman: Das ist ein Text, auf den ich sehr stolz bin. Ich mag auch Bilder, die etwas sehr Emotionales ausdrücken, – und die ich gleichzeitig als einen kurzen Comicstrip vor Augen habe. Wenn es in „Hanging“ etwa heißt: „I’m going home to intubate/’Cause every time we talk I suffocate“. Oder „I was a beetle on my back“ in „The yellow Mile“.

Auf deinem letzten Album „Any human Friend“ hast du sehr explizit über queeren Sex und Masturbation getextet. Daran erinnert auf der neuen Platte nur noch der Song „Slime“.

Hackman: Bei der neuen Platte liegt der Fokus eher auf den emotionalen Aspekten von Beziehungen. Andererseits hätte es sich nicht ehrlich angefühlt, wenn ein Song wie „Slime“ gefehlt hätte. Es war das letzte Stück, das ich geschrieben habe, und ich habe mich nur getraut, es aufs Album zu nehmen, weil ich wusste, wie melancholisch der Rest ist.

Heißt das etwa, du bist erwachsen geworden?

Hackman: Sagen wir lieber, ich bin jetzt reifer. Womöglich auch gesetzter, auf jeden Fall zehre ich von einem größeren Selbstvertrauen. In der Vergangenheit habe ich mehr experimentiert, wollte Grenzen einreißen, provozieren und auch schockieren. Jetzt kann ich mich hinsetzen und ganz intensiv in mich reinhören. Mit dem Alter wird sich das immer besser anfühlen. (lacht) Zumindest hoffe ich das.

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