Martin Kohlstedt: Flur
|Zuletzt hat sich der Weimarer Pianist Martin Kohlstedt mit einem 70-köpfigen Chor die Bühne geteilt. Doch plötzlich war da wieder diese Sehnsucht …

Martin, während du „Ströme“ noch mit dem Leipziger GewandhausChor aufgenommen hast, folgt jetzt mit dem Solopianoalbum „Flur“ ein radikaler Rückzug.
Martin Kohlstedt: Während der ganzen Chorzeit wurden die Häuser immer pompöser, und ich habe meine Auftritte mit einem 70-köpfigen Chor absolviert. Das Projekt ist riesig gewachsen: Überall war ich sofort der Komponist oder gar der Avantgardist. Ich liebe das Extrovertierte und das Nach-außen-Gehen, aber schon während dieser Zeit ist eine kleine Sehnsucht nach dem Innen entstanden. Da war dieses Gefühl, dass ich mal wieder zu dem eigentlichen Kern zurückschauen muss, warum das alles begonnen hat.

Hattest du Angst davor, dich jetzt nackt zu fühlen?
Kohlstedt: Ich bin nach diesem Gefühl süchtig. (lacht) Ich glaube, dass ich deswegen so viele Auftritte spiele und die Nacktheit auch fast therapeutisch kultiviere. Man weiß ja von sich selbst nicht, was man ist. Wer das behauptet, ist entweder über 80 und ganz weise oder lügt. Meiner Meinung nach ist es nie ganz möglich, sich zu betrachten. Dieses Sich-nackt-Machen, das Zurückbesinnen auf die Ursprünge mit allen Schwächen: Da kommt bei mir die Kunst her. Ich möchte nicht konzipieren. Ich will nicht anfangen, an den nächsten Schritt zu denken, und Konzepte in die ganze Sache reinbringen. Deswegen muss ich immer wieder abspecken und jeden Trieb abschneiden, der sich da entwickelt.
Mit „Tag“ und „Nacht“ hast du ja bereits zwei sehr reduzierte Alben veröffentlicht, die unter der Sehnsuchtsflagge der Jugend entstanden sind. Was hat sich nach dem extrovertierten Erkunden verändert, wenn du mit „Flur“ jetzt erneut die innere Einkehr wählst?
Kohlstedt: Anfangs habe ich mich wirklich gefragt, ob das alles vielleicht ein Fake ist. Möchte ich nur unbedingt in diesen Zustand zurück, oder will ich das wirklich weiterentwickeln? Irgendwann ist mir aber aufgegangen, dass ich mich mit „Tag“ und „Nacht“ sehr viel in Sehnsüchten bewegt habe. Es sind alles Stücke aus der Jugend, wo Gefühle noch extreme Dimensionen haben durften, ohne dass sie gleich vom Bewusstsein platt gemacht wurden. Ich habe mit ihnen eine Art Lösungssuche gestartet. Bei „Flur“ hatte ich hingegen das Gefühl, ich habe diese Musik gar nicht mehr angerührt – sie war schlichtweg schon da.
Es ist ein ganz anderer Ansatz, weil ich weder Druck noch Zwang ausgeübt habe. Ich bin nicht Sehnsüchten hinterhergejagt und habe versucht, sie zu greifen. Es gab keine Formgebung. Vielleicht ist es am Ende einfach das, was man Werdegang nennt: Man beginnt und hat noch diesen heimischen Habitus. Dann geht man ganz weit raus, testet die verrücktesten Sachen bis hin zum Chor. Irgendwann kehrt man dann zurück und kann auf einmal das Zuhause aus dem richtigen Blickwinkel sehen. Mit den dazugehörigen Erfahrungen.
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