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Martin Sonneborn: Einem Satiriker vergeht das Lachen

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Sitzt seit zwei Legislaturperioden im Europaparlament und tritt trotzdem noch mal an: Satiriker Martin Sonneborn. Diesmal zieht die Schrifstellerin Sibylle Berg mit ihm in den Wahlkampf: auf Listenplatz zwei der Satirepartei. (Foto: © Flu Popow)

Martin Sonneborn will gemeinsam mit der Schriftstellerin Sibylle Berg erneut für Satirepartei Die Partei ins Europaparlament einziehen. Doch zum Lachen ist dem Fachmann für Komik schon lange nicht mehr …

Herr Sonneborn, vor fünf Jahren haben wir das letzte Mal miteinander gesprochen. Sie sagten damals, dass Sie im EU-Parlament von den Grünen und den Linken noch nicht richtig ernst genommen würden. Inzwischen sagte ein Abgeordneter der Linken über Sie im Bundestag: ,Martin Sonneborn ist im Europaparlament wirkungsvoller als alle CDU-Abgeordneten zusammen.‘ Was hat sich da geändert?
Martin Sonneborn: Die Diagnose ist natürlich nicht ganz richtig, denn ich bin vielleicht in der Öffentlichkeit wirkungsvoller, aber in der Gesetzgebung sitzt die CDU leider am längeren Hebel, was nicht gut ist für die EU. Geändert hat sich, dass wir Transparenz hergestellt haben in vielen Bereichen. Leider spielen die Medien ihre Rolle als vierte Gewalt nicht mehr so eindrucksvoll, wie sie das müssten. Insofern hat unsere Arbeit auch eine höhere Bedeutung bekommen.

Eine ernsthafte Bedeutung trotz eines satirischen Ansatzes?
Sonneborn: Ich glaube schon. Es sind ja humanistische Positionen, die durchschimmern, egal wie flapsig, polemisch und komisch das auch immer ist in der Form. Es steckt natürlich ernsthafte Kritik dahinter, und die ist in diesen Zeiten wichtig.

Die Äußerung des Abgeordneten der Linken fiel in einer Bundestagsdebatte zur Einführung einer Sperrklausel für kleine Parteien bei der Wahl zum Europaparlament, die nicht zuletzt Ihrer Satirepartei gilt. Sie konnten eine Sperrklausel zwei Mal juristisch verhindern, 2029 scheint eine Zwei-Prozent- Sperrklausel dennoch zu kommen. Sehen Sie das als Niederlage an?
Sonneborn: Wenn alles juristisch korrekt läuft, wird die Sperrklausel frühestens 2034 eingeführt, aber wir sind uns nicht ganz sicher, ob die Regierungsparteien sich daran halten werden. Ich sehe das schon als Niederlage, kann es aber noch gar nicht bewerten. Ich selber habe ja eine Verfassungsbeschwerde eingereicht und Die Partei hat ein Organstreitverfahren begonnen. Jetzt warten wir darauf, dass uns die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ordnungsgemäß zugestellt wird, dann setzen wir uns inhaltlich damit auseinander. Was man schon sagen kann: Die Entscheidung ist eine 180-Grad-Wende – Annalena Baerbock würde sogar sagen: 360-Grad! – des Bundesverfassungsgerichtes. Es ist interessant, dass das Gericht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet – offensichtlich hatte man Bedenken, sich inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Urteilsbegründung, das Parlament würde durch die Handvoll deutscher Kleinparteien zersplittert und weniger handlungsfähig, ist inhaltlich ja komplett unsinnig. Dazu gibt es zwei Urteile des BVerfG, und das weiß auch jeder Jurist.

Sie sind der einzige fraktionslose Parlamentarier einer kleinen Partei, im EU-Parlament.
Sonneborn: Nein, es gibt noch einen, ich glaube Tierschutzpartei. Der war bei den Grünen, dann stellte sich heraus, dass er mal in der NPD war, deshalb haben sie ihn vor die Tür gesetzt. Aber das ist jetzt eher ein Unglücksfall, ansonsten bin ich in der Tat der einzige deutsche. Alle anderen sitzen in Fraktionen. Wenn ich mir Dr. Patrick Breyer von den Piraten ansehe oder seinen Vorgänger: Die arbeiten hier rund um die Uhr für Netzfreiheit, Persönlichkeitsrechte und gegen Überwachung. Eine Position, die sonst kaum jemand vertritt. Auch Volt, ÖDP und Familienpartei machen ganz normale ordentliche Parlamentsarbeit, insofern ist das ein absurdes Urteil.

Die Initiative für eine Sperrklausel geht seit Jahren von CDU und SPD im Bundestag aus, und zentral soll wohl die Satirepartei aus dem EU-Parlament entfernt werden. Warum wollen diese Parteien die Parlamente satirefrei haben?
Sonneborn: Wir haben ja Kontakte zur EVP, das ist die konservative Fraktion im EU-Parlament, und auch zu sozialdemokratischen Abgeordneten. Der Vorwurf lautet: Zu viel Transparenz, zu schlechte Witze. Wir wissen auch, dass es keine demokratietheoretisch belastbaren Gründe für eine Sperrklausel im EU-Parlament gibt. Daniel Boeselager von Volt, Berichterstatter in der Wahlrechtsfrage, hat mir gesagt, dass ihm auf die Frage nach dem Sinn einer Sperrklausel bis heute niemand eine inhaltlich befriedigende Antwort geben konnte. Es gibt ganz offensichtlich das Interesse der großen Parteien, sich in Zeiten sinkender Wahlergebnisse die sieben Mandate der kleinen Parteien anzueignen.

In ihrem ersten Buch „Herr Sonneborn geht nach Brüssel“ konnten Sie noch Anekdoten von polnischen Monarchisten und ungarischen Antisemiten berichten, die ganz in Ihrer Nähe saßen. In der Fortsetzung „Herr Sonneborn bleibt in Brüssel“ hat das komische Element ziemlich abgenommen. Sie bringen dafür viel stärker ernsthafte Themen.
Sonneborn: Das tut mir leid! (lacht) Diesen Vorwurf habe ich so noch nicht gehört.

Alleine wie Sie sich an Ursula von der Leyen abarbeiten, der Kommissionspräsidentin: Das hat bei aller Komik eine wirklich ernsthafte Grundierung. Und dann fragt man sich: Ist diese oder jene Äußerung in Sonneborns Parlamentsreden eine Beleidigung, juristisch gesehen? Haben Sie da einen Rechtsbeistand?
Sonneborn: Nein. Ich habe aber einen Büroarbeiter, der juristisch geschult ist. Der berät mich natürlich. Wenn ich in einer Rede EZB-Präsidentin Christine Lagarde als vorbestraft bezeichnen will, greift er ein und erklärt mir, dass ich das so nicht sagen könne. Lagarde ist zwar in Frankreich vor Gericht gewesen wegen Veruntreuung von 400 Mio. Euro Steuergelder. Sie ist auch verurteilt worden, aber die Strafe wurde ausgesetzt. Es gibt da einen lustigen Paragrafen in Frankreich: Wenn sich Leute sehr um das Land verdient gemacht haben, können Strafen ausgesetzt werden. Nach 20minütiger Diskussion haben wir uns auf die Bezeichnung „kriminell“ geeinigt, die ist juristisch wasserdicht. Und klingt natürlich noch viel lustiger. Christine Lagarde ist auch nie juristisch dagegen vorgegangen, auch Frau von der Leyen würde sich vermutlich hüten, weil sie ein paar klügere Berater hat. In dem Moment, wo wir uns vor einem ordentlichen Gericht darüber auseinandersetzen, ob ihr Verhalten kriminell ist, würde ich für den Vorwurf gute Chancen sehen.

Die Europäische Staatsanwaltschaft hat Klage gegen Frau von der Leyen erhoben.
Sonneborn: Die EPPO, das ist die Europäische Staatsanwaltschaft, zieht alle Verfahren von niedereren Gerichten an sich. In Belgien wurde sie wegen Verschwendung belgischer Steuergelder angezeigt, weil sie mittels SMS einen 35-Milliarden-Deal mit einem zwielichtigen Potenzmittelhersteller verhandelt hat (gemeint ist der bekannte Impfstoffdeal mit Pfizer, d. Red.), obwohl sie als Kommissionspräsidentin nicht in derartige Verhandlungen involviert sein darf. Sie hat dann ihre SMS gelöscht, wie im Verteidigungsministerium gelernt… lol Nach Ansicht von Fachleuten sind die Pfizer-Verträge die schlechtesten, die die EU jemals abgeschlossen hat. Im Moment bezahlen wir Pfizer dafür, dass sie nicht für uns produzieren. Ich glaube, es sind zehn Euro pro Dosis, die sie nicht an uns liefern. Verschiedene Mitgliedsstaaten versuchen, aus diesen Verträgen auszusteigen. Bisher vergeblich.

Wann wird Frau von der Leyen die zweite Amtszeit als Kommissionspräsidentin antreten?
Sonneborn: Da muss ich vorausschicken, dass sich das Parlament selbst entmächtigt hat. Wir haben ja mal mit einer stolzen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen, dass wir nur jemanden als Kommissionspräsidenten bestätigen, der vorher Spitzenkandidat war. Dieser Schwur wurde sofort gebrochen, als es darauf ankam. Damals wurde nicht Manfred Weber Kommissionspräsident, sondern nach 52 Stunden Verhandlung hat Macron von der Leyen aus dem Hut gezaubert. Diese Frau hat seitdem viel Schlechtes über Europa gebracht, sie hält sich an keine Regel und kein Gesetz.

Was meinen Sie konkret?
Sonneborn: Gerade kaufen wir für 1,5 Milliarden Euro alte Artilleriegranaten aus Afrika, und die Süddeutsche Zeitung bejubelt das. Dabei müsste sie eigentlich im Leitartikel kritisieren, dass die EU – der es von den Lissabonner Verträgen her verboten ist, Gelder in militärische Projekte zu stecken – Waffen kauft und dies als „Europäische Friedensfazilität“ tarnt. Seit Jahren wird auf diese orwelleske Weise umetikettiert.

Sie haben sich in der Vergangenheit immer wieder für humanitäre Projekte stark gemacht und viel Geld gesammelt und auch Gelder der Satirepartei zum Beispiel an den kurdischen roten Halbmond überwiesen. Das überlagert auch in Ihrem neuen Buch die komischen Momente. Vergeht Ihnen immer mehr der Spaß, je länger Sie im Europäischen Parlament sitzen?
Sonneborn: Auf der einen Seite schon. Was mich motiviert und am Leben erhält, sind allerdings die komischen Momente. Die suche ich auch nach wie vor, aber es ist auch wichtig, dass wir heute einen trockenen Text über Kriegswirtschaft ins Netz stellen. Ganz einfach, weil die Union den moralischen Kompass verloren hat und sich nicht mehr um Werte schert. Es ist alles viel schockierender, als Sie denken und einschätzen können, wenn Sie sich nur über deutsche Zeitungen informieren. Aber den schmutzigen Kalauer würde ich trotzdem auf keinen Fall liegen lassen, das ist ja unser Handwerkzeug.

Sie waren in London bei der Anhörung von Julian Assange, der an die USA ausgeliefert werden soll. Assange scheint es überhaupt nicht gut zu gehen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Fall befasst: Inzwischen hat das Gericht entschieden, Assange nicht ohne weiteres auszuliefern. Wie ist der aktuelle Stand?
Sonneborn: Wir spekulieren darauf, dass die amerikanische Regierung sich neben dem Ukraine- und dem Israel-Konflikt, die sie beide sehr viel Zustimmung kosten, vor der US-Wahl nicht noch ein drittes Problem ins Land holen will. Deshalb hoffe ich, dass dem Antrag Assanges stattgegeben wird, sich zumindest in einem weiteren Verfahren verteidigen zu können. Das ist aber nur die kaum weniger schlimme Lösung, denn das bedeutet natürlich, dass Assange weiter in Haft sitzt. Ich vermute, dass er eher in der Zelle sterben wird, als dass der High Court in London ein gerechtes Urteil spricht. Es ist ja völlig absurd, ihn überhaupt in einem Hochsicherheitsgefängnis auf 6 Quadratmetern in Isolation zu halten. Das Material, das er veröffentlicht hat, unter anderem Verbrechen des US-Militärs, stammt von Whistleblowern, die längst angeklagt und zum Teil schon wieder begnadigt wurden. Der Spiegel, der Guardian und die NYT haben das Material auch veröffentlicht, aber die US-Regierung, deren Geheimdienst CIA Pläne zu Assanges Ermordung ausgearbeitet hat, will an ihm ein Exempel statuieren und ihn zu 175 Jahren Gefängnis verurteilen. Kanzler Scholz hat sich jetzt zumindest zwei Mal richtig positioniert, einmal bei Taurus, einmal bei Assange. Das freut mich, weil es vermutlich das einzig politisch Richtige ist, das er in seiner Karriere, na ja, zumindest in den letzten zehn Jahren getan hat. Aber das ist natürlich zu wenig. Und dass die Grünen, die früher selbstbewusst Assanges Freilassung gefordert haben, sich daran nicht mehr erinnern können, seit sie in der Regierung sind, bedrückt mich auch.

Sie waren als Parlamentarier in London.
Sonneborn: Ja. Wir unterstützen die Kampagnen, die in Deutschland Öffentlichkeit herzustellen versuchen. Das hilft Assange. Die deutschen Medien nehmen das nur sehr vereinzelt auf und schreiben darüber. Sie verstehen oft gar nicht, dass es hier um das Prinzip der Pressefreiheit geht und dass sie im Grunde alles dafür tun müssten, dass Assange freigelassen wird.

Ich sehe mich jetzt noch mehr darin bestätigt, dass Ihre Themen immer ernster werden und auch Ihr Umgang mit den Themen.
Sonneborn: Das liegt auch daran, dass ich hier ein bedingungsloses Grundeinkommen genieße, deshalb kann ich mir das leisten.

Was mich auch schon zur nächsten Legislaturperiode bringt: Die Partei tritt wieder zur Wahl an, mit Ihnen an der Spitze, und auf Listenplatz zwei steht die Schriftstellerin und Kolumnistin Sibylle Berg. Haben Sie bereits eine Vorstellung, wie Sie Ihr politisches Profil noch einmal schärfen, wie Sie ihre Agitation noch einmal verändern wollen im Team mit Frau Berg?
Sonneborn: Unser Ziel sind eine Millionen Stimmen, das wären 2,5 Prozent, dann hätten wir drei Büros. Ab 1,6 Prozent würde Sibylle Berg mit nach Brüssel müssen. Das wäre eine feine Unterstützung, sie kann klar analysieren und gehässig kommentieren, kennt sich mit Bürgerrechten und Netzthemen aus. Denn: Wir haben hier jeden Tag drei Themen, die wir in die Öffentlichkeit tragen müssten, und das schaffen wir alleine nicht.

Und die weiteren Pläne?
Sonneborn: Diese Legislatur kam schwer in Gang, litt und leidet unter Corona und Kriegen. Aber nach der Wahl werden die Karten hier wieder neu gemischt. Wichtig ist, dass dem Parlament Transparenz und schlechte Witze erhalten bleiben. Und dass ich meine Trilologie fertigstellen kann, mit dem dritten Band: „Herr Sonneborn kehrt zurück aus Brüssel“

Und jede zweite Rede Frau von der Leyen widmen, die dann ja erneut Kommissionspräsidentin sein wird.
Sonneborn: Leider. Wir haben irgendwo geschrieben, dass die EU weitere 60 Jahre brauchen wird, um sich von dieser Kuh wieder zu erholen. Das Wort „Kuh“ haben wir im Buch auf Anraten meines Lektors gestrichen. Ich hätte vor zehn Jahren nicht gedacht, dass die EU, die ja mal als Projekt für Frieden und Wohlstand gegründet wurde, zu einem derart waffenstarrenden, undiplomatischen, semidemokratischen, bürgerfeindlichen, intransparenten Verwaltungsapparat werden könnte.

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