Matt Ruff: Lovecraft Country
Mit „Lovecraft Country“ schreibt Matt Ruff die klassischen Geschichten aus Horror und SciFi um – indem er bislang ausgegrenzte Helden wählt.
Matt, ging es dir auch so, dass der amerikanische Science-Fiction- und Horror-Autor H. P. Lovecraft für dich zunächst ein Held und später eine Hassfigur war?
Matt Ruff: Als ich ihn entdeckt habe, war ich so jung, dass ich die rassistischen Elemente in seinen Erzählungen nicht mal bemerkt habe. Später hatte ich dann natürlich einen Blick dafür, und auch wenn das zunächst erst mal alles zunichte gemacht hat, bin ich heute der Meinung, dass seine Sachen es dennoch wert sind, gelesen zu werden.
Du kannst seine Ideologie von einer Überlegenheit der Weißen ignorieren?
Ruff: Es geht nicht darum, diese Dinge zu ignorieren. Zum einen muss man seine rassistischen Positionen nicht teilen, um in Lovecrafts Welten einzutauchen. Zum anderen ist für mich entscheidend, ob man aus diesen fragwürdigen Elementen auch einen positiven Nutzen ziehen kann. Nimm etwa die Erzählung „The Shadow over Innsmouth“: Natürlich ist es zunächst eine Parabel über die Gefahren der Rassenvermischung, doch zugleich kann man an ihr auch sehr gut ablesen, wie diese universelle Furcht von dem Unbekannten und dem Andersartigen funktioniert. Ich musste nur eine kleine Verschiebung vornehmen, schon konnte ich den Plot für „Lovecraft Country“ anverwandeln: Plötzlich ist es die Geschichte eines schwarzen Reisenden, der nachts in einem falschen Dorf eine Pause macht und von seinen Bewohnern gejagt wird.
In der Danksagung schreibst du, dass du die Idee für deinen Roman seit fast 30 Jahren mit dir rumschleppst und sie auf einem Gespräch basiert, das du damals an der Cornell Universität geführt hast. Ging es in dem Gespräch auch um Lovecraft?
Ruff: Nein, aber damals habe ich mit Joe Scantlebury meinen ersten farbigen Freund kennengelernt, der versucht hat, mir verständlich zu machen, warum sich sein Leben fundamental von meinem unterscheidet. In dieser Zeit habe ich oft lange Spaziergänge durch die ländlichen Regionen um die Stadt Ithaca gemacht, doch als ich Joe den Ratschlag gegeben habe, er solle das unbedingt auch mal machen, um den Kopf frei zu bekommen, hat er mich nur ausgelacht und gesagt, er könne nicht einfach als Schwarzer durch diese kleinen Bauerndörfer marschieren. Beim nächsten Spaziergang habe ich die Farmer mit ihren Pick-up-Trucks und den vielen Hunden mit anderen Augen gesehen.
Haben dich aktuelle Ereignisse dazu bewogen, „Lovecraft Country“ genau jetzt anzugehen? Gleich bei einer der ersten Szenen des Romans, in der dein Protagonist Atticus mit seinem Auto von einem Officer angehalten wird, denkt man automatisch an die Hinrichtungen durch die US-amerikanische Polizei in der jüngeren Vergangenheit.
Ruff: Durch das Internet bekommen solche Vorfälle eine größere Öffentlichkeit, aber egal, wann ich den Roman in den letzten 50 Jahren veröffentlicht hätte – es wären immer sehr starke aktuelle Bezüge dagewesen. Ursprünglich hatte ich den Plot von „Lovecraft Country“ ja bereits vor zehn Jahren als Vorschlag für eine Fernsehserie konzipiert. Die Verantwortlichen hatten mich damals um Ideen gebeten, da sie meinen Roman „Bad Monkeys“ mochten, aber am Ende war es ihnen wohl doch zu heikel und zu wenig erfolgversprechend: ausschließlich farbige Hauptdarsteller, die einmal pro Woche ein paranormales Abenteuer erleben, bei dem auch Rassismus mitverhandelt wird.
Du hast den Stoff zum Roman umgearbeitet – und inzwischen ist ja doch eine HBO-Serie in Planung.
Ruff: Es hat eine Weile gedauert, da ich keine unzusammenhängende Kurzgeschichtensammlung wollte, aber dann habe ich mir gedacht: Warum sollte ich mich beim Romanschreiben nicht von den so prägenden Serien der letzten Jahre inspirieren lassen? So wurde „Lovecraft Country“ zu einem Episodenroman, der von einem übergeordneten Plot zusammengehalten wird, und ich freue mich ganz besonders, dass sich „Get out“-Regisseur Jordan Peele um die Adaption kümmern wird.
Mit Caleb Braithwhite darf er auch einen sehr zeitgemäßen Schurken inszenieren.
Ruff: Mich reizen einfach sympathische Bösewichte. Caleb Braithwhite ist schlau genug, um kein Rassist zu sein. Doch das macht ihn nur umso gefährlicher, da er keine Probleme damit hat, seine Vorteile aus den existierenden rassistischen Strukturen zu ziehen.
Interview: Carsten Schrader
Im Jahr 1954 macht sich der 22-Jährige Atticus gemeinsam mit seinem Onkel George, dem Herausgeber des „Safe Negro Travel Guide“, auf die Suche nach seinem verschwunden Vater. Sie müssen es mit furchteinflößenden Monstern, Geiserhäusern, Zauberlogen und dem Rassismus der weißen Bevölkerung aufnehmen.
Matt Ruff Lovecraft Country
Hanser, 2018, 432 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Anna u. Wolf Heinrich Leube