Zum Inhalt springen

„Meine Musik ist ein Heilmittel“

Gregory Porter All rise Promofoto
(Foto: Amysioux)

Für seine Fans ist Gregory Porter ein Therapeut – dabei hat der 48-Jährige angesichts der Schicksalsschläge der letzten Monate selbst auch Trost gebraucht.

Gregory, wo hast du die vergangenen Monate verbracht?

Gregory Porter: Ich war sehr, sehr viel im Garten. So wie jetzt auch. Du hörst vielleicht die Vögel zwitschern. Die Sonne scheint, es ist ein wunderbarer Morgen.

Bist du im Garten fleißig, oder lässt du lieber die Seele baumeln?

Gregory Porter: Ich kann mich auch mal hinsetzen und ein Buch lesen, aber noch mehr liebe ich es, draußen aktiv zu sein. Vor unserem Gespräch habe ich ein paar Bäume zurückgeschnitten, in den letzten Tagen habe ich auch ein paar gefällt und einige neu gepflanzt. Neulich habe ich sogar mit Ziegelsteinen ein Mäuerchen gebaut. Speziell in den zurückliegenden Wochen war der Garten einer meiner Zufluchtsorte.

Dein Bruder Lloyd, der ein Jahr älter ist als du, ist im Mai am Coronavirus gestorben. Nur eine Woche später erlag deine Schwester einem Brustkrebsleiden. Hilft dir die Musik durch diese schlimmen Zeiten?

Gregory Porter: Sie hilft mir sogar sehr. In meinen Songs trage ich meine Familie immer bei mir. Auf meinem neuen Album „All rise“ gibt es das Lied „Thank you“. Es handelt von meinem Bruder. Lloyd war ein Mensch, der mich schon gefeiert hat, bevor ich selbst an mich geglaubt habe. Er meinte immer: Du wirst mal der beste Sänger der Welt. Er war so erfrischend größenwahnsinnig.

Wo hörst du selbst deine Musik am liebsten?

Gregory Porter: Im Auto. Ich fahre einen Mercedes-Benz-Coupé 250C aus dem Jahre 1971. In pastellweiß. Hier in Bakersfield führen viele kleine, kurvige Straßen durchs Hinterland in die Berge hinauf. Dort gurke ich gerne einfach ziellos umher. Das hört sich jetzt vielleicht seltsam an, aber Autofahren war und ist für mich auch ein zentraler Teil meines Trauerprozesses. Ich habe mir jetzt sogar noch eins gekauft. Mein Bruder und ich haben von diesem Wagen schon geträumt, als wir noch Kinder waren und uns überhaupt nicht ausgekannt haben. Doch wir wussten: Ein Porsche 911, das ist ein ganz besonderes Auto. Wir wollten darin Zigarre rauchend durch die Gegend cruisen.

Welche Farbe?

Gregory Porter: Grün. Aventurine Green, um genau zu sein.

Nicht nur du selbst findest Trost in deiner Musik, sondern auch deine Hörer. Stücke wie das warme „Everything you touch is gold“ oder „Phoenix“ klingen nicht nur sehr erotisch, sondern auch positiv und aufbauend. Mit Absicht?

Gregory Porter: Oh ja. Der rote Faden auf dieser Platte ist mein unerschütterlicher Glaube an das Gute und an die Liebe. In „Phoenix“ etwa preise ich die weltliche wie die göttliche Liebe. In „Merchants of Paradise“ geht es um die Benachteiligten, die an den Rand Gedrängten. Es begeistert mich, Lieder zu singen, die dich körperlich und emotional regelrecht aufrichten. Für mich gibt es nichts Knisternderes als Soul.

Du weißt schon, dass deine Songs wie gemacht sind für erotische Begegnungen?

Gregory Porter: (lacht) Yesss. Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Sex ist wichtig. Ohne Sex wären wir alle nicht hier.

Bist du für die Leute eine Art Therapeut?

Gregory Porter: Auf jeden Fall. Meine Musik ist ein Heilmittel. Die Leute erzählen mir Dinge wie: Dieser Song lief, als mein Vater gestorben ist. Oder: Wir haben unser kleines Mädchen zu deiner Platte gemacht. An ein Pärchen erinnere ich mich ganz besonders. Die beiden haben noch zusammen gelebt, aber nicht mehr miteinander gesprochen. Sie haben schweigend im Auto gesessen, als mein Song „Insanity“ vom „Take me to the Alley“-Album gelaufen ist, der von Schwierigkeiten in meiner eigenen Beziehung handelt. Sie haben mir gesagt, dass sie beide zu weinen angefangen und sich nach langer Zeit das erste Mal wieder angeschaut haben.

In deinem Stück „Mister Holland“ singst du über einen weißen Mann, der sich nicht rassistisch verhält. Du schilderst das, als sei es nicht der Normalfall.

Gregory Porter: Das ist das Schlimme. Und das macht „Mister Holland“ in meinen Augen auch zu einem zwar sanften, aber doch klaren Protestsong. Ich sage: Danke, dass du kein Rassist bist. Ich bedanke mich also für etwas, das selbstverständlich sein sollte. So wie: Danke, dass du mich nicht ausraubst. In diesen Worten steckt auch eine Portion Bitterkeit.

Hast du in deiner Jugend viele Mister Hollands kennengelernt?

Gregory Porter: Leider meist das Gegenteil. Mit 17 wollte ich ein Mädchen, dass ich sehr mochte, zum Tanzen ausführen. Eine Weiße. Als ihre Eltern herausgefunden haben, dass ich schwarz bin, haben sie ihr den Kontakt mit mir verboten. Ich weiß das alles noch sehr genau. Ihr Bruder war taub, er hat sich mit Zeichensprache verständigt. Er hat mir erklärt, seine Eltern denken, dass ihre Tochter etwas Besonderes sei und deshalb nicht mit einem schwarzen Jungen zusammen sein solle.

Wird die Black-Lives-Matter-Bewegung etwas ändern?

Gregory Porter: Definitiv. Eine große Masse an Menschen ist auf die alltäglichen Diskriminierungen aufmerksam geworden, und sie stimmt mit den Anliegen der schwarzen und farbigen Menschen überein. Wir sind damals eine von nur zwei schwarzen Familien in einer durch und durch weißen Gegend von Bakersfield gewesen. Es hat Leute gegeben, die das Baumhaus von meinem Bruder und mir abreißen wollten. Die ein Kreuz bei uns im Garten verbrannt haben. Die in Bierflaschen gepisst und sie uns durch unser Fenster geworfen haben. Ich weiß, dass das alles existiert. Nur ist es mit dem Rassismus wie mit den Dinosauriern. Du denkst, die Zeit ist vorbei. Und du hoffst, dass dein Kind so etwas nicht mehr miterleben muss.

Dein Sohn Demyan ist sieben. Sprichst du mit ihm über Rassismus?

Gregory Porter: Wenn er Fragen stellt – und das tut er – sind wir ehrlich zu ihm. Er ist schon immer ein Junge gewesen, der meine Frau und mich mit seinen Fragen gelöchert hat. Wir haben uns kürzlich eine Doku über die Bürgerrechtsproteste in den 60ern angeschaut, und du konntest richtig sehen, wie es in seinem kleinen Kopf gearbeitet hat. Meine Frau Victoria ist Russin und weiß. Am Ende des Films hat er uns gefragt: Sind weiße Menschen etwas Besonderes? Und wir haben ihm geantwortet: Ja, das sind sie. Genau wie du. Genau wie wir alle.

Setzt du auf Joe Biden?

Gregory Porter: Ich will nicht, dass Donald Trump meinem Sohn die Zukunft versaut. Joe Biden ist keine radikale Figur, er wird keine enormen Veränderungen anstoßen. Aber wir brauchen jemanden wie ihn, der Ruhe, Vernunft und eine gewisse Normalität ins Land bringt. Und ganz ehrlich: Ich freue mich auf einen Präsidenten, der mich nicht tagtäglich mit seinem Quatsch in Rage bringt.

Beitrag teilen: