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Melanie Bonajo: Frankfurter Kunstverein

Die Niederländerin Melanie Bonajo sucht nach einem utopischen Miteinander – und findet es in ironischer Metasexualität

Melanie Bonajo zählt dieses Jahr zu den Nominierten für den Prix de Rome, den höchstdotierten Kunstpreis der Niederlande – im Nachbarland ist die hieruzlande noch recht unbekannte Enddreißigerin eine der prägenden Gegenwartskünstlerinnen. Mit ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland, „Single Mother Songs from the End of Nature“, präsentiert der Frankfurter Kunstverein bis 27. August Videos, Performances, Fotografien und Installationen, die allesamt ein utopisches Moment beinhalten: Bonajo sucht „nach alternativen Weltbildern und Formen des friedlichen Widerstandes in der von Krisen erschütterten Welt“, so der Frankfurter Kunstverein.

Moose, Flechten, Ranken

Eine nackte Frau kniet auf einem Holzpodest, um sie herum verteilt sind Topfpflanzen, eine davon ist auf ihrem Rücken platziert. Ihr Haar verdeckt ihr Gesicht, der nackte Körper ist entindividualisiert. Ein klassisches sadomasochistisches Environment, das Melanie Bonajo in ihrem Video „Night Soil #1/Fake Paradise“ arrangiert, einerseits. Andererseits – ist das, was wir hier sehen, tatsächlich klassisch? Hat das etwas mit Sadomasochismus, hat es überhaupt mit Sex zu tun? Die Protagonistin ist nackt, aber auf dem Stuhl neben dem Podest sitzt eine zweite Figur, und deren Haltung beruht nicht auf einem Machtgefälle. Sie sitzt da, aufmerksam, streng, ein wenig angespannt, aber ihr Blick interessiert sich mehr für die Zamioculcas auf der Hüfte der Nackten als für den Körper.

Melanie Bonajo, geboren 1978 im limburgischen Heerlen und heute eine der bekanntesten niederländischen Künstlerinnen, arbeitet häufig mit Bildern, die eine sexuelle Bedeutungsebene in sich tragen, wobei diese sich bei längerer Betrachtung als haltlos erweist. Im Video „Night Soil #2/Economy of Love“ wird das noch deutlicher: Man sieht sieben nackte, aneinander geschmiegte Menschen auf einer Dachterasse, allerdings zeigt die Nacktheit der Protagonisten ausschließlich eine gewisse Verletzbarkeit, ohne sexuell aufgeladen zu sein. Stattdessen werden die Körper zu Symbolen: Jeder ist unterscheidlich farbig bemalt, was an eine Flagge erinnert, womöglich an eine Regenbogenflagge, mit ihrer politisch-gesellschaftlichen Diversity-Bedeutung. Zudem sind die Körper häufig tätowiert, stellen also auch hier Bedeutungsträger dar. Im Unterschied zur nackten Frau von „Fake Paradise“ haben wir es mit Individuen zu tun, man sieht die Gesichter der Porträtierten, und man sieht, wie sie in die Kamera lächeln, offen, freundlich, entspannt. Der gesamte Leiberberg im Video zeigt tiefe Entspannung.

Diese Entspannung ist zentral für Bonajos Arbeit. „Die Künstlerin sucht in ihren Arbeiten nach alternativen Weltbildern und Formen des friedlichen Widerstandes in der von Krisen erschütterten Welt“, schreibt der Frankfurter Kunstverein in einer Ausstellungsankündigung und weist der Enddreißigerin damit ein utopisches Programm zu. Tatsächlich ist ihr Ziel ein gesellschaftliches Miteinander, das nicht auf Hierarchien, Kapitalismus, Leistungsdruck beruht, und dieses Miteinander findet sie in einer Art ironischen, solidarischen Metasexualität. „Ihre Werke entstehen vor dem Hintergrund einer explizit kapitalismuskritischen Haltung und einem ambivalenten Verhältnis gegenüber der modernen Fortschrittseuphorie“, schreibt Kunstvereins-Leiterin Franziska Nori.

Bonajo, die an der Gerrit Rietveld Academy in Amsterdam und an der School of Visual Arts in New York City künstlerisch ausgebildet wurde, an der University of Amsterdam Religionswissenschaften mit den Schwerpunkten Hermetik, Mystizismus und westliche Esoterik studierte und heute in New York und Amsterdam lebt, ist zwar in ihrem Heimatland preisgekrönt (und aktuell für den Prix de Rome, den höchstdotierten Kunstpreis der Niederlande, nominiert), in der Bundesrepublik allerdings noch weitgehend unbekannt. Der Frankfurter Kunstverein zeigt unter dem Titel „Single Mother Songs from the End of Nature“ erstmals in Deutschland eine Einzelpräsentation der Künstlerin, in deren Mittelpunkt die Filmtrilogie „Night Soil“ steht, der alle hier gezeigten Motive entnommen sind.

Das Bild eines nackten Körpers im Zusammenspiel mit Pflanzen taucht im übrigen noch einmal auf, im jüngsten „Night Soil“-Video „Nocturnal Gardening“. Auch hier sehen wir Pflanzen auf einer nackten Frau, aber diesmal sind es keine Topfpflanzen, es sind Moose, Flechten, Rankengewächse, die eine Schlafende überwuchern. Und diesmal siehen wir auch ihr Gesicht. Kann sein, dass sie lächelt.

Falk Schreiber

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