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Mit seiner Reportagensammlung „Autobahn – Ein Jahr zwischen Mythos und Alptraum“ lädt Michael Kröchert zu einer emotionalen Achterbahnfahrt.
Wenig verspricht so erbarmungslose Langeweile und unendliche Ödnis wie die deutsche Autobahn – zumindest auf den ersten Blick. Dass es in manchen Fällen auch auf den zweiten zutrifft, zeigt Michael Kröchert in seiner schlicht „Autobahn“ betitelten Reportagensammlung. Dass es jedoch in manchen Fällen überhaupt nicht zutrifft, offenbart spätestens der Bericht über einen Einsatz der Autobahnpolizei. Bereits in diesem zweiten Kapitel dokumentiert Kröchert sehr sensibel den Alltag jener Menschen, deren beruflicher und teilweise sogar privater Lebensmittelpunkt aus Lärmschutzmauern, Überholspuren und Raststätten besteht.
Für ein Sachbuch überraschend und gleichzeitig angenehm szenisch deutet Michael Kröchert an, dass die Autobahnen nicht nur eine „Antithese zur Landschaft“ sind, sondern eben auch die Lebensqualität vieler Menschen bestimmen. Und das selten positiv: Besonders im Dialog mit dem Trucker Bodo sowie den Bewohnern eines Dorfes in unmittelbarer Nähe zur A5 schnellt bei ansonsten ruhigen und ausgeglichenen Menschen der Blutdruck in die Höhe, wenn Worte wie „Verkehrsberuhigung“ fallen. Ähnlich emotional fahren auch Protestierende im Hambacher Forst hoch, wenn sie in nächtlichen Fluchtaktionen ihr Leben in mehreren Metern Höhe riskieren.
All dieser Wut begegnet Michael Kröchert keineswegs kühl, sondern feinfühlig und mit einer Vielzahl emotionaler Anekdoten. Gegen Ende seiner Reportagen gewinnt er schließlich eine Erkenntnis: „Während des gesamten Ausflugs hatte ich (…) nicht bemerkt, dass die Autobahn selbst das zentrale Denkmal war. Eine gewaltige Betonskulptur, die von der unaufhörlichen Bewegung der Menschen, der Zeit und der Geschichte erzählte, von Aufbruch und Tod, von Propaganda und Unterdrückung, von Heldenmut und schrecklicher Qual.“