Michel Decar: Tausend Deutsche Diskotheken
Michel Decar wurde erst 1987 geboren. Ist der Debütoman „Tausend Deutsche Diskotheken“ über die 80er gerade deshalb so lustig wie entlarvend?
Michel, auf den Buchseiten der kulturnews kennzeichnen wir Krimithemen mit einem Symbol. Bei „Tausend Deutsche Diskotheken“ bin ich mir komplett unsicher: Krimisymbol oder nicht?
Michel Decar: Für mich muss in einem Krimi irgendwann eine Leiche auftauchen, und die gibt es hier nicht. Deswegen würde ich klar sagen: kein Krimi. Aber ich finde die Genrebezeichnung „Detektivgeschichte“ eh viel schöner.
Was hat dich als Dramatiker daran gereizt, jetzt deinen Debütroman zu schreiben? Wolltest du die Räume endlich mal selbst füllen, die du sonst mit den Theaterstücken anderen anbietest?
Decar: Oh ja, allerdings! Es hat tatsächlich erheblichen Spaß gemacht, diesmal auch Regisseur und Bühnenbildner in einer Person zu sein.
Man merkt, wie sehr du es genossen hast, mit deinem Protagonisten Frankie in die Haut eines Hardboiled-Helden zu schlüpfen. Hat es dich auch erschreckt, den Macho aus dir sprechen zu hören?
Decar: Absolut. Der Protagonist ist ja eine eher zwielichtige Figur und trifft auch die ein- oder andere zweifelhafte Entscheidung, wenn ich das mal so sagen darf, ohne zu viel zu verraten. Und klar, das hat mitunter auch Fun gebracht, in so eine Rolle zu schlüpfen. Allerdings würde man so einen Typen wahrscheinlich nicht in seinem Freundeskreis haben wollen.
Mit dem Telefonbuch aus dem Jahr 1988 hast du die Namen all der Diskotheken recherchiert, durch die dein Held Frankie hetzt. Gab es Namen, bei denen dich eine Zeitreise gereizt hätte, um in den Läden einen Abend verbringen zu können?
Decar: Logo, zum Beispiel hätte ich gerne eine Nacht im „Popcorn“ in Höxter verbracht. Leider hat es dieser Schuppen nicht in den Roman geschafft. Insgesamt habe ich aber ziemlich lange recherchiert und mir bestimmt 30 Telefon- und Branchenadressbücher aus den verschiedenen Bibliotheken kommen lassen, weil das oft die einzige Möglichkeit war, einen seriösen Beleg zu finden, dass diese ganzen Läden im Juli 1988 tatsächlich existiert haben und ich da historisch korrekt sein wollte.
Gibt es Dinge aus den 80ern, von denen du dir wünschst, wir hätten sie nicht verloren?
Decar: Ich glaube, am meisten vermisse ich Jürgen Klinsmanns wehende Mähne im Wind.
Und gab es 80er-Klischees, die auf keinen Fall in deinem Text auftauchen sollten?
Decar: Vokuhilas und ballonseidene Trainingsanzüge habe ich sofort verbannt. Aber ein paar Sachen habe ich mir trotzdem gegönnt: VHS-Kassetten zum Beispiel. Denn ab und zu können Klischees ja auch Spaß machen. Jedenfalls, wenn sie gut eingesetzt werden.
Manchmal hilft Frankie der Blick ins Bücherregal einer Person, um zu entscheiden, ob er es mit einer Spionin zu tun hat oder nicht. Welcher Autor charakterisiert dich denn besser: Thomas Mann oder Max Frisch?
Decar: Ich hoffe doch, ich habe mit den beiden Pfeifen nichts am Hut. Aber wenn wir von Vorbildern reden, würde ich gerne Ilja Ilf und Jewgeni Petrow nennen. Die fand ich immer wahnsinnig toll.
Mitunter hatte ich Übersetzungsprobleme: Frankies Affäre Marlene serviert einen Typen ab, weil er es unter gewissen Umständen okay findet, die FAZ zu lesen. Was wäre ein äquivalenter Trennungsgrund im Jahr 2018?
Decar: Ich kenne die ein- oder andere Dame, die eine regelmäßige FAZ-Lektüre noch immer recht strikt auslegen würde. Da hat sich zwischen 1988 und 2018 nicht viel geändert. Jedenfalls hoffe ich, an der kulturnews ist noch keine Beziehung zerbrochen.
„Tausend Deutsche Diskotheken“ lässt sich sicher auch für die Theaterbühne adaptieren, aber eine Verfilmung wäre spannender, oder? Gibt es Genreklassiker aus den 80ern, die eine gute Orientierung bieten?
Decar: Da fällt mir als erstes die Verfilmung von Fausers „Schneemann“ mit Marius Müller-Westernhagen ein – aber nur als abschreckendes Beispiel. Ich glaube, katastrophaler kann man eine Romanvorlage nicht in den Sand setzen. Eine tolle Literaturverfilmung finde ich dagegen „Dame König As Spion“. Doch ich fürchte, Herr Alfredson ist anderweitig in Hollywood beschäftigt. Deswegen wird das wohl so schnell nichts mit „Tausend Deutsche Diskotheken“ in Cinemascope.
Interview: Carsten Schrader
Bahnvorstand Mauke bittet Privatdetektiv Frankie um Hilfe: Er wird von einem Mann erpresst, der aus einer Diskothek angerufen hat, in der „White Heat“ von Madonna gespielt wurde. Frankie zieht durch die einschlägigen Lokalitäten, zunächst nur in München, bald in ganz Westdeutschland, und es entspinnt sich ein Fall, in dem es um Industriespionage und Doppelagenten geht.
Michel Decar Tausend Deutsche Diskotheken
Ullstein Fünf, 2018, 240 S., 20 Euro