Miranda July: Der erste fiese Typ
Bislang hat Miranda July einfach alles richtig gemacht: Als Regisseurin, Drehbuchautorin und Schauspielerin ist sie für die großartigen Filme „Ich und du und alle, die wir kennen“ und „The Future“ verantwortlich. Die in der Riot-Grrrl-Bewegung sozialisierte Künstlerin entwickelt Performances und Konzeptkunst; erst letztes Jahr hat sie die App „Somebody“ auf den Weg gebracht, mit der man Nachrichten nicht elektronisch übermittelt, sondern Personen in der Nähe sucht, die sie dann persönlich überbringen. Und mit ihrem bereits 2008 auf Deutsch erschienenen Kurzgeschichtenband „Zehn Wahrheiten“ konnte sie die Bestmarke des Genres ein gutes Stück nach oben verschieben. Doch so sehr es der 41-Jährigen Verschrobenheit auch immer wieder gelingt, der Gesellschaft mit hippiesker Verschrobenheit den Spiegel vorzuhalten und auf kindlich-naive Weise Schonräume zu ersinnen, die Hoffnung darauf machen, dem Turbokapitalismus zu entkommen oder ihn zumindest ein kleines bisschen besser aushalten zu können: Erträgt man ihre neurosengeplagten Figuren und die stets am Abgrund zum Slapstick wandelnden Handlungsverläufe wirklich auf Romanlänge? July selbst hat lange genug gezögert – um jetzt so richtig aufzudrehen: Hauptfigur von „Der erste fiese Typ“ ist Cheryl Glickman aus L.A., die bei einer Firma namens Open Palm arbeitet, welche eigentlich Selbstverteidigungskurse für Frauen angeboten hat, mittlerweile aber vor allem Fitness-DVDs mit Titeln wie „Survival of the Fittest“ produziert. Die 43-jährige Singlefrau ist seit langer Zeit in ihren 20 Jahre älteren Kollegen Philipp verliebt – der sie jedoch ständig per SMS fragt, ob sie es moralisch vertretbar fände, wenn er seine 16-jährige Freundin vögeln würde. Ansonsten leidet Cheryl unter Schluckbeschwerden, die durch eine Muskelverhärtung im Hals verursacht werden, sie kommuniziert seit jungen Jahren telepathisch mit einem Kleinkind, das sie Kubelko Bondy nennt und das ihr ständig in Gestalt anderer Babys begegnet, und in ihrer Wohnung hat sie ein pathologisches Ordnungssystem etabliert. Tatsächlich richtet man sich schnell in Julys Romanwelt ein, zumal es ihr immer wieder gelingt, durch unvorhersehbare Wendungen neu Fahrt aufzunehmen, ganz besonders nachdem Clee, die 20-jährige Messie-Tochter ihrer Chefs, bei Cheryl einzieht. Die beiden bekriegen sich, beginnen dann aber eine Affäre, ein Baby wird geboren, und plötzlich findet sich Cheryl in der Mutterrolle wieder. Hier kippt das Buch radikal – was nicht unwesentlich daran liegen könnte, dass Miranda July den Roman während ihrer eigenen Schwangerschaft geschrieben hat. Doch der zutiefst humanistische Ton bildet einen spannenden Kontrast zu dem zuvor von Aberwitz durchdrungenen Plot, und über den Kitschverdacht, siehe oben, ist July ja eh erhaben. Wie das alles denn nun ganz genau mit Riot-Grrrlism und dem Schonraum zusammenpasst, kann man ja bei der Autorin direkt erfragen, denn Miranda July kommt im November auf Lesereise.