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Moby: Mann der Extreme

Moby veröffentlicht auf „Reprise“ Orchesterversionen seiner größten Hits
(Foto: Travis Schneider)

Moby blickt nicht nur auf eine extrem vielschichtige Musikkarriere zurück. Vom Selbstmordkandidaten bis zum Mönch hat der 55-Jährige alle Stationen durchlaufen.

Moby, war es immer Teil deines Karriereplans, als mittelalter Mann deine elektronischen Dance-Hymnen mit einem Orchester neu aufzunehmen?

Moby: Karriereplan? Es ist witzig, aber etwas, das diesen Namen verdient, hatte ich nie. Als ich aufgewachsen bin, hätte ich es zu keiner Sekunde überhaupt für möglich gehalten, mal von der Musik leben zu können. In den 80ern war ich in einer Punkband, wir haben eine Single rausgebracht und davon 200 Stück verkauft. Das war damals ein Triumph für mich. Ganz sicher hätte ich nie geglaubt, einmal ein Album zu machen, auf dem ein 150-köpfiges Orchester meine Lieder spielt. Und das dann auch noch bei Deutsche Grammophon erscheint, dem ältesten und wohl renommiertesten Label auf dem Planeten.

Was hat die orchestrale Interpretation mit Songs wie „Natural Blues“ oder „Why does my Heart feel so bad“ gemacht?

Moby: Sie hat sie verschönert. Die Verletzlichkeit und Fragilität dieser Kompositionen treten nun viel deutlicher hervor.

Auf dem Album sind Gäste wie Gregory Porter und Kris Kristofferson dabei, und es spielt das Budapest Art Orchestra. Wie bist du auf die Ungarn gekommen?

Moby: Ein befreundeter Dirigent aus Los Angeles hat sie mir empfohlen. Das Orchester, mit dem ich seinerzeit in Los Angeles „Extreme Ways“ für den „Jason Bourne“-Soundtrack aufgenommen habe und das sonst für „Star Wars“ oder „Mission Impossible“ arbeiten, hätte ich mir niemals leisten können. Persönlich war ich übrigens nicht in Budapest, ich hätte dort nur im Weg gestanden.

Du selbst hast Klavier, Percussion, Schlagzeug, Gitarre sowie das Streicherquartett im sagenumwobenen „Studio 3“ der East-West-Studios in Los Angeles aufgenommen.

Moby: Schrecklich egoistisch von mir, ich weiß. (lacht) Ich lebe nun seit 2008 in der Stadt, und nach wir vor sind zwei Dinge in Los Angeles einfach unschlagbar: die großartige Natur, in der ich mich fast jeden Tag wandernd und wundernd aufhalte, und die fantastische Studiosituation. In New York hat man die meisten Studios in Luxuswohnungen umgewandelt, doch hier gibt es sie noch, die wunderbaren, holzvertäfelten Studios aus den 20er-, 30er- und 40er-Jahren. Die East-West-Studios sind in vielerlei Hinsicht ein Museum. Brian Wilson hat dort „Pet Sounds“ aufgenommen, ich habe meine Klavierparts auf dem Flügel von Frank Sinatra eingespielt, und das elektrische Piano dort war lange Zeit im Besitz der Rolling Stones. Aber weißt du, was am Allerschönsten ist?

Na?

Moby: Der Geruch. Ich bin jeden Morgen von meinem Haus ins Studio gelaufen, und jedes Mal, wenn ich reingekommen bin, hatte ich sofort wieder diesen Duft aus 70 Jahre altem Holz und analoger Ausrüstung in der Nase. Es war herrlich.

Für „Reprise“ hast du „Heroes“ von David Bowie gecovert. Im zeitgleich zum Album erscheinenden Dokumentarfilm „Moby Doc“ erfahren wir, dass ihr beiden nicht nur Nachbarn in Manhattans Little Italy gewesen seid, sondern auch gute Freunde.

Moby: Ich wollte diesem durch und durch wunderbaren Menschen meine Ehre erweisen. Ich konnte es selbst nie richtig fassen, mit ihm befreundet zu sein und mit ihm sogar Weihnachtsfeste zusammen zu verbringen. „Heroes“ ist für mich einer der drei schönsten Songs, die jemals geschrieben wurden.

Die Szenen mit Bowie zählen zu den schönsten im Film, der ansonsten mit dem Wort „schonungslos“ noch freundlich beschrieben ist. Wir erleben in „Moby Doc“ deine traumatische Kindheit, wir erfahren, dass sich dein Vater im Suff totgefahren hat, als du zwei warst. Und wir werden Zeuge, wie du dich nach deinem Aufstieg zum Weltstar in Depressionen verlierst und Drogen und Alkohol dich fast umbringen. Warum wolltest du das zeigen?

Moby: Ich verstehe den Film als eindringliche Warnung. Vor 15 oder 20 Jahren wäre ich jetzt am Vormittag wahrscheinlich betrunken, high oder verkatert gewesen. Ich bin sehr glücklich, dass ich diese Lebensweise hinter mir lassen konnte. Wenn ich getrunken habe, war ich immer unglaublich egoistisch und selbstsüchtig. Andere Menschen waren mir egal.

Du hattest gerade den größten Erfolg deiner Karriere und warst bei den MTV-Awards in Barcelona. Man hatte dir – wie ansonsten nur Jon Bon Jovi und Madonna – eine der Suiten im obersten Stock eines schicken Hotels spendiert. Aber du erzählst, das einzige, was dich in dieser Nacht vom Selbstmord abgehalten hätte, sei die Tatsache gewesen, dass sich die Hotelfenster nicht öffnen ließen.

Moby: So war es. Ich denke, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Ruhm und Depression. Viele von uns glauben, wenn wir erfolgreich sind, reich werden, zu den richtigen Partys eingeladen werden, die richtigen Freunde haben, würde uns das Glücksgefühle verschaffen. Dieses Glück löst in unserer Vorstellung dann all unsere Probleme und lindert die seelischen Qualen. Aber so ist es nicht. Ich hatte alles, aber bei mir war kein einziges Problem gelöst, und wenn du das realisierst, gerätst du in Panik. Du hast ein Leben lang auf etwas hingearbeitet und dein Ziel erreicht – doch dann wird alles nur noch viel schlimmer. Ich war total hilflos und verzweifelt.

Dein heutiger Alltag ist das komplette Gegenteil, du lebst gesund und sehr zurückgezogen. Bist du ein Mann der Extreme?

Moby: Tatsächlich hat mich ein Freund vor kurzem so genannt. Ich bin trocken, clean, meide Gesellschaft. Ich kann nachvollziehen, wenn andere Menschen mich und meine Lebensumstände seltsam finden, aber so mönchsähnlich mag ich mein Leben viel lieber als damals. Ich bin heute eindeutig glücklicher.

Wie verbringst du deine Zeit?

Moby: Wenn ich nicht an meiner Musik arbeite, lese ich alles von Kriminalromanen bis hin zu wissenschaftlichen Büchern über Astrophysik oder Genetik. Und ansonsten bin ich am liebsten draußen. Ich gehe so gut wie jeden Tag in die Natur, meistens unternehme ich kleinere Wanderungen im und um den Griffith Park herum, in dessen Nähe ich wohne. In den Hügeln klettern, Bäume anschauen, Tiere beobachten, das ist mein Leben. Auch wenn es pathetisch klingt: Die Natur hat meine Ängste und meine Depressionen geheilt.

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