München: „Aida“ zum Saisonabschluss an der Bayerischen Staatsoper
Da es nun noch zwei Aufführungen gibt, erklärt uns Regisseur Damiano Michieletto hier mal ausführlich, was an der Neuinszenierung von Verdis Opernklassiker „Aida“ besonders ist.
München Oper: Liebe und Krieg
München und Oper passt wieder ideal zusammen: An der Bayerischen Staatsoper kommt am 27. und 30. Juli zum Abschluss der Saison 2022/23 noch einmal Guiseppe Verdis Oper „Aida“ auf die Bühne. Der italienische Regisseur Damiano Michieletto inszenierte auch für die Salzburger Festspiele, an der Mailänder Scala, am Bolschoi-Theater in Moskau, an der Oper Frankfurt und der Staatsoper unter den Linden Berlin sowie an den führenden Häusern in Amsterdam, London, Wien, Paris, Berlin, Moskau, Venedig und Rom. „Aida“ ist sein Debüt für die Bayerische Staatsoper. Hier spricht Michieletto über die Oper und seinen Zugang.
Aida ist eine Außenseiterin
Herr Michieletto, Giuseppe Verdi zoomt unvermittelt in einen bestehenden Konflikt, wir steigen mit der ersten Szene direkt in die militärische Handlung ein.
Wie lesen Sie den militärischen Konflikt zweier Nationen in „Aida“?
Ich interpretiere ihn als Bürgerkrieg. Die Menschen sind auf Gewalt nicht vorbereitet. Der Tod entfaltet eine so verheerende Wirkung, weil er in den Alltag, in die Familien einbricht, Kinder nicht verschont. Den Stoff möchte ich nicht als militärische Geschichte, sondern als etwas vermitteln, das der Zivilbevölkerung widerfährt. Die Gesellschaft, wie ich sie in „Aida“ zeige, trifft sich an einem symbolträchtigen Ort der Stadt, der durch den Konflikt in Schutt und Asche gelegt wurde. Zuvor hatte man sich dort zum Spielen getroffen, zum Vergnügen und zur Zerstreuung, seine Freizeit hier verbracht. Jetzt stehen dort Särge und es liegen Verletzte in dem Raum. Und es finden Zeremonien und Überlegungen darüber statt, wozu der Mensch letztlich existiert.
Verdis Musik stellt zwei Welten gegeneinander: die intime Liebesgeschichte und die brachiale, monumentale Kriegshandlung, die die Ebene der politischen Macht miteinschließt.
Verdi hat seiner Musik sicherlich einen bewusst triumphierenden Charakter verliehen, weil „Aida“ ein Auftragswerk war. Denken wir an die Olympischen Spiele, dort werden sehr aufwendige Festakte veranstaltet. Müsste jemand ein Werk zur Einweihung eines Stadions komponieren, die erste Inspirationsquelle wäre wohl „Aida“. Aber das ist eine Frage der Perspektive auf das Werk. Mich interessiert der Krieg als Fokus auf alles Militärische nicht, mich interessieren die Folgen von Krieg und Gewalt für die Figuren, die Handelnden. Im Triumphmarsch wird der Sieg gefeiert, ja, aber auch der bringt Verluste und Niederlagen mit sich. Man ehrt hier die Tapferen, die die Insignien des Krieges tragen. Die Erfahrung des Krieges hat infolge unmenschlicher Handlungen sowohl Seelen traumatisiert als auch Körper verstümmelt.
Die Liebesgeschichte zwischen Aida und Radamès ist verwoben mit der Dynamik dieses Krieges. Wie hängt beides zusammen?
Ihre Geschichte ist eine kleine Geschichte in einem größeren Erzählrahmen. Eine Privatsache innerhalb einer öffentlichen Angelegenheit. Das Schicksal des Einzelnen wird also von einer größeren Macht bestimmt. Sind die beiden frei? Nein, sind sie nicht. Ihre Entscheidungen werden gesteuert, und, was bei Verdi ja keine Seltenheit ist: am Schluss dieser großen Geschichte der Massen erpressen die Eltern ihre eigenen Kinder. Ein Leitmotiv, das sich in seinen Werken öfter findet. Man denke hier nur an „Rigoletto“, „La Traviata“ oder „Luisa Miller“. Auch „Aida“ wird von ihrem Vater gezwungen, Radamès zu verraten.
Welche Rolle spielen Ramfis und Amonasro?
Ich habe Ramfis seine übliche religiöse Funktion genommen. Er ist hier insofern Gegenspieler von Radamès, weil er sich zum wahren politischen Drahtzieher entwickelt. Als Berater des Pharaos prägt er dessen Entscheidungen. Am Ende nimmt er Amneris zur Frau – was er auch von Anfang an vorhatte. Den Brautschleier, den Amneris bei ihrer Vermählung mit Radamès tragen wollte, wird sie zur Eheschließung mit einem Anderen tragen. Amonasro ist mit Blick auf den Pharao die Kehrseite der Medaille: Hier gibt es keine offenkundig Guten und Bösen. Die einen wie die anderen pochen auf ihre Machtansprüche und führen so ihr Volk ins Verderben.
München Oper: Lieben und Tod
Aida ist eine Außenseiterin. Im Gegensatz zu Radamès weiß sie von Anfang an, dass ihre Lage und ihre Liebe aussichtslos sind. Verdi und Ghislanzoni zeigen sie als Frau, die ihre Situation genau reflektiert. Hat sie von Anfang an aufgegeben?
Aida träumt von ihrer verlorenen Heimat – ein bei Verdi immer wieder vorkommendes Motiv. Diese „verlorene Heimat“ ist aber in Wirklichkeit ihre Familie. Sie ist eine Halbwaise, und der damit verbundene Schmerz ist immer in ihr. Und sie ist unglaublich einsam. Ihre Liebe ist nicht frei von Hoffnung, und genau für diese Emotion geht sie schließlich in den Tod. Das hat etwas ausgesprochen Romantisches, wie bei Shakespeares Julia.
Am Ende ist es also Aida, die die Liebe der beiden ermöglicht, wenn auch nur mit der Perspektive des gemeinsamen Sterbens? Spiegelt sich in der Figur Aida Giuseppe Verdi, der 58-jährig angesichts der gesellschaftlichen Realität resigniert ist?
Ob Verdi sich hier widerspiegelt, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber, dass er und Ghislanzoni hier ein leidvolles Finale schaffen wollten. In meinen Augen fällt dieses Finale nicht mit dem Tod der beiden zusammen, sondern mit ihrer letzten Vereinigung. Es ist fast wie eine Trauung. Im Finale wird Resignation also zu einer Vision des Einsseins, der Hoffnung.