Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg: Die Zukunft der Kunst
In Zeiten von Klimawandel, Kriegen oder Streit um Gleichberechtigung und Identität werden auch die Museen politischer. Das sieht man besonders anregend an dem Haus am Hamburger Hauptbahnhof.
Das Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg kann mit Blockbuster-Künstlern wie Caspar David Friedrich (aktuell in der Hamburger Kunsthalle), Pablo Picasso oder Marc Chagall (2023 die meistbesuchte Ausstellung in der Geschichte der Schirn Kunsthalle in Frankfurt) nicht dienen. Hier haben die Macherinnen und Macher einen anderen Erfolgsplan. Oder wie Museumsdirektorin Tulga Beyerle es formuliert: „Wir haben die großen Themen, die die Gesellschaft bewegen.“ Das Kunstgewerbemuseum ist eines der wichtigsten Häuser für Gestaltung in Deutschland, seine Sammlung reicht von der Antike bis zu den Innovationen der Gegenwart und umfasst den europäischen, ostasiatischen und islamisch geprägten Kulturraum. Aber noch wichtiger ist dieser Abschnitt in der Selbstdarstellung: „Das Museum versteht sich als ein Haus für Diskurse und sieht die Frage der Gestaltung unserer Welt als eines der wichtigsten Themen unserer Zeit.“ Deswegen ist das Museum unter anderem auch beteiligt am Nachhaltigkeitsprojekt „Elf zu Null“, bei dem die Hamburger Museen sich selber auf ihre Umweltauswirkungen prüfen und ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren.
Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg: Die Gestaltung der Welt neu denken
Heißt: Hier wird nicht allseits bekannte Kunst unter immer neuen Gesichtspunkten aufgehängt. Hier kann und soll die Kunst etwas bewirken – denn sie kommt aus einer Welt, die vor gigantischen gesellschaftlichen, sozialen, politischen, digitalen, ökonomischen und ökologischen Umwälzungen steht, nein: sich schon mittendrin befindet. Sie kommt aus der Welt des Designs, der Architektur und der Technik, und sie wirkt aus dem Ausstellungsraum zurück in die Welt. „Wir fordern uns und euch heraus, die Gestaltung der Welt zu hinterfragen und neu zu denken“, sagt Beyerle.
Das diesjährige Programm des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg, kurz MK&G, steckt voller Themen, die die Gesellschaft bewegen und teils kräftig durchschütteln. Bis 28. 4. noch sind die Wiki Women 2 zu sehen: Grafikdesign und Fotografien von bisher zu unsichtbaren Gestalterinnen – eine Ausstellungsidee, die aus der Selbstkritik des MK&G an der mangelnden Repräsentanz von feministischen Positionen in der eigenen Sammlung entstand. Die erste neue Schau des Jahres ist dann Feste feiern! (16. 2.–25. 8.), die sich Festen und Feierlichkeiten vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. widmet. „Feste sind eines der wichtigsten kulturanthropologischen Phänomene der Menschheitsgeschichte. Sie sind für das menschliche Miteinander von essenzieller Bedeutung.“ Oder einfacher ausgedrückt: Fete ist fundamental, da verbrüdern sich auch Verfeindete. Gemeinsam Party zu machen überwindet viele kulturelle und gesellschaftliche Grenzbefestigungen – gerade heute in Zeiten der Extreme extrem wichtig.
Neue Wege aus der ernsten Lage?
Water Pressure – Gestaltung für die Zukunft (15. 3.–13. 10.) geht dahin, wo es nass ist – oder besser gesagt, viel zu trocken: 40 Prozent der Menschen auf der Welt leiden unter Wasserknappheit. 2022 trocknete die schlimmste Dürre seit 500 Jahren Europa aus, 2021 suchte dann ein Jahrhundert-Hochwasser das Ahrtal heim, und gerade erst standen weite Teile Deutschlands unter Wasser. Die Ausstellung präsentiert Gestaltungsideen aus Design, Architektur, Kunst und Wissenschaft, die das Potenzial haben, neue Wege aus der aktuell ernsten Lage zu finden. Und die Kommunikationsdesignerin Sandra Mawuto Dotou (3. 5.–30. 6.), siebte Residentin im Förderprogramm Fonds für Junges Design der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen (SHK), verbindet Popkultur und politischen Aktivismus mit Gestaltung. Wie kann Design zur Aufklärung, Motivation und Mobilisierung beitragen?
Die Besucherinnen geben dem Konzept des MK&G recht: 2023 war das erfolgreichste Jahr in seiner Geschichte. Thematisch auf die Zukunft ausgerichtet zu sein, sichert auch die eigene Zukunft. Das Haus lockt zudem die Zielgruppe an, um die andere Häuser hart kämpfen: die Jungen. Das Publikum wird immer jünger; 2022 lag das Durchschnittsalter bei 39 Jahren, 2023 sogar bei 39 Jahren. Und 20 Prozent der Gäste haben eine ausländische Herkunft oder einen Migrationshintergrund.
Die gegenwärtigen globalen Transformationsprozesse werden im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg beispielhaft und anschaulich in den Kosmos der Kunst integriert. Der sonst meist passive Museumsbesuch wird aktiv, aus Flanieren wird Engagieren – und das Mitbringsel aus dem Museumsshop heißt: Anregung.
Im unserem Video: Ein Gespräch zu innovativen Ansätzen in der Museumsarbeit mit Tulga Beyerle, Prof. Dr. Wiebke Ahrndt, Präsidentin des Deutschen Museumsbunds und Direktorin des Übersee-Museums Bremen sowie Dr. Felicia Sternfeld, Präsidentin ICOM Deutschland und Direktorin des Europäischen Hansemuseums Lübeck: