Nick Cave & The Bad Seeds: Ghosteen
Es war noch nie so leicht, ein Album von Nick Cave beiseite zu wischen. Doch nie zuvor hatte er so viel zu geben wie auf „Ghosteen“.
Flamingos, weiße Pferde, Lamm und Löwe friedlich nebeneinander, saftig grüne Wiesen, ein Regenbogen: Tatsächlich illustriert das Cover sehr gut, wie das 17. Studioalbum von Nick Cave And The Bad Seeds klingt. Weder Schlagzeug noch Gitarre sind zu hören, statt dessen dominiert ein pastellfarbener Schönklang aus Synthesizerflächen und zurückhaltenden Klavierakkorden, während Cave von pathetischen Chören unterstützt seine großgestigen Melodien vorträgt und sich dabei bis zum Falsett vorwagt. „Everyone has a heart, and it’s calling for something/and we’re all so sick and tired of seeing things as they are“, singt Cave dann auch in „Bright Horses“ und erklärt seinen Kopfsprung in den Kitsch.
Drei Jahre liegt der Vorgänger nun zurück, auf dem Cave zum ersten Mal den Unfalltod seines 15-jährigen Sohnes Arthur thematisiert hat. „Skeleton Tree“ war eine Verzweiflungstat: Dem brüchigen Gesang und den düster dröhnenden Klangen war die Sehnsucht ebenso eingeschrieben wie eine Ratlosigkeit, wo Halt und Trost zu finden sein könnten. Er hat sich entschieden, in die Öffentlichkeit zu gehen und die Fans an seinem Leid teilhaben zu lassen: Auf seinen Blog „The Red Hand Files“ schreibt er nicht nur über den eigenen Schmerz, sondern beantwortet auch Fragen und gibt Hilfestellung in schwierigsten emotionalen Notsituationen. Bei Konzerten geht er auf der Suche nach tröstendem Körperkontakt ins Publikum, und mit „Ghosteen“ exerziert er nun die Schmerzaustreibung mit überzeichneter Schönheit.
Man muss sich auf diese Platte einlassen, und erst im allerletzten Song erklärt sie sich voll und ganz. Cave unterteilt das Album in zwei Teile: Während die ersten acht Songs den „Children“-Part bilden, besteht der folgende „Parents“-Part aus dem vertonten Gedicht „Fireflies“ und zwei epischen Kompositionen. Es ist dieser zweite Teil, in dem sich die Zweifel mischen und ihren Höhepunkt in dem dramatischen Abschlusssong „Hollywood“ finden: „I’m gonna buy me a house up in the hills/with a tear-shaped pool and a gun that kills.“ Cave wendet die Katastrophe ab, indem er Verlust und Trauer als unvermeidbare Bestandteile des Lebens akzeptiert. Er findet Trost in dem Wissen, mit seinem Schmerz nicht allein zu sein. Von hier aus geht es zurück zu der vom Kitsch befreiten Schönheit von Teil eins. Und ganz am Ende von „Hollywood“ stehen die Worte: „I’m just waiting now for peace to come.“
Ghosteen erscheint am 8. November auf Vinyl und CD.