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Noga Erez: Off the Radar

Für ihre Heimat findet die 28-jährige Israelin Noga Erez auf dem Debütalbum „Off the Radar“ nicht nur harte Beats, sondern auch harsche Worte. Und sie ist noch lange nicht fertig – auch wenn sie dafür das Land verlassen muss.

Noga, innerhalb Israels nimmt deine Heimatstadt Tel Aviv eine Sonderstellung ein.

Noga Erez: Es ist eine Blase. Man befindet sich in der absurd privilegierten Situation, dass man die Konflikte und das Leid um einem herum sehr gut ausblenden und seine Angst einfach wegfeiern kann. Zumindest bis zum nächsten Bombenalarm.

Kombinierst du deshalb auf deinem Debütalbum „Off the Radar“ die harten Beats deiner Elektro-HipHop-Songs mit sehr kritischen Texten?

Erez: Auch ich habe versucht zu flüchten und wollte die Musik zu meinem Schutzraum machen. Eine zeitlang habe ich die Nachrichten ignoriert und sogar meinen Fernseher abgeschafft – aber es hat nicht funktioniert.

Weil du als Künstlerin die Verantwortung gespürt hast, gewisse Dinge zu thematisieren?

Erez: Ich würde es eher als Drang bezeichnen, mich einer persönlichen Auseinandersetzung nicht zu entziehen. Bis ich meinen musikalischen Partner Ori Rousso kennengelernt habe, waren meine Songs Selbstgespräche, über die ich erfahren wollte, was in mir vorgeht. Jetzt ist es ein Dialog.

Ein Dialog, der vor allem dank der Single „Dance while you shoot“ bereits große Wellen schlägt: Du wirst nicht nur mit M.I.A. verglichen, sondern als Retterin des Protestsongs gefeiert.

Erez: Protestsongs sind meiner Meinung nach zurecht in Verruf, da sie sehr schnell etwas Proklamatorisches bekommen. Ich spreche lieber von process songs, da es immer um die persönliche Anbindung geht – und nicht darum, zu griffigen Parolen zu kommen.

Aber genau das unterscheidet dich ja gerade von vielen Musikerkollegen, die mit der Welt hadern: Während sie bei apokalyptischen Visionen stehen bleiben, formulierst du auch Widerstand.

Erez: Kunst hat auch dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie Hilflosigkeit aufzeigt. Aber es stimmt schon: Ich bin extrem wütend, und ich brauche auch dafür ein Ventil. Ich habe mit Jazz und Folk angefangen, und natürlich kann akustische Musik eine enorme Kraft und sehr viel Aggressivität in sich tragen, aber durch die elektronische Musik haben sich mir ganz neue Dimensionen erschlossen. Insofern betrachte ich „Off the Radar“ auch als ein Debüt, mit dem ich meine Identität noch vorsichtig ausdefiniere und Kompromisse eingehe. In mir schlummern noch sehr viel schärfere Kommentare, für die ich einen Ausdruck suche.

Du spielst bereits jetzt auf großen Festivalbühnen in Europa und den USA. Wäre es für dich denkbar etwa nach London oder New York zu ziehen oder fühlst du dich gegenüber Tel Aviv verpflichtet?

Erez: Du stichst da in ein Wespennest. Tatsächlich bereitet es mir ein schlechtes Gewissen, Kritik zu üben und dann aber bei der erstbesten Gelegenheit Reißaus zu nehmen und viele mir wichtige Menschen in Tel Aviv zurückzulassen. Andererseits habe ich das Gefühl, dass es für mich extrem wichtig ist, mein bisheriges Leben aus einer anderen Perspektive und mit größerem Abstand zu reflektieren. Ich habe zwar noch überhaupt keine Idee, welche Stadt ein neues Zuhause sein könnte, aber ich werde diesen Schritt gehen müssen.

Interview: Carsten Schrader


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