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Nourished By Time: Bloß kein Kult!

LEAD - NBT Max Potential - Credit Aaron Fenichell
(Foto: Aaron Fenichell)

Nourished By Time liefert mit seinem zweiten Album eine Anleitung zur Befreiung. Applaus will er dafür aber keinen.

Warum das zweite Album meist das schwerste ist? Womöglich wegen all der Schlaumeier und Seelenfänger, die es nach einem Debüterfolg wie Motten ins angeknipste Scheinwerferlicht zieht. Marcus Brown alias Nourished By Time dürfte nach seinem gefeierten Debütalbum „Erotic Probiotic 2“ – einen ersten Teil gab es übrigens nie – eine Menge solch vermeintlich selbstloser Angebote und Anfragen auf dem Tisch gehabt haben. Bloß behält Brown als bekennender Sozialist die Produktionsmittel lieber bei sich. DIY ist für den US-Amerikaner kein Selbstzweck. Und so hat sein zweites Album „The Passionate Ones“ auch nichts von der rohen Ein-Mann-Energie verloren, die den Bedroom-Producer und Sänger zu einem der spannendsten Newcomer der letzten Jahre hat werden lassen.

Flucht vor der Lohnarbeit

Entstanden zwischen seiner Heimatstadt Baltimore und seinen Wahlheimaten London und New York, hat Brown „The Passionate Ones“ mit allen Soundschulen angefüttert, die diese drei Städte zu bieten haben: von Grunge, Glamrock und Gospel bis zu Soul, HipHop und House. Was sich auf dem Papier wie eine Retro-Rolle rückwärts liest, vermengt Brown zu einem düster-euphorischen Post-R’n’B. Voller Hingabe singt, rappt und scattet er mit all seinen anderen Vocal-Spuren um die Wette. Ambitioniert, könnte man urteilen – oder gar irre? War es doch ein vom ausbeuterischen System genährter Wahnsinn, der Brown erst zu Nourished By Time werden ließ: eine Flucht vor der Lohnarbeit.

Dass mit „Max Potential“ und „9 2 5“ nicht nur zwei Hits, sondern auch zwei Songs als Vorabsingles ausgewählt wurden, die um die Verwertbarkeit menschlichen Lebens kreisen, ist wohl kein Zufall. Denn auch wenn Brown die Minijobs mittlerweile durch Musik ersetzt hat, bleibt Arbeit neben Religion, Unterdrückung und Liebe weiterhin ein zentrales Motiv in der Musik des 30-Jährigen.

„How do you get someone out of a cult?“, will das aus Nachrichten-Schnipseln zusammengesetzte „Cult Interlude“ wissen. Hier geht es Brown nicht um irgendeinen Yoga-Harem mit Truecrime-Potenzial, sondern um etwas Größeres: um den Kult der passionierten Selbstbetrüger. Um uns alle, die wir uns verheddern in Ideologien, Religion, Süchten und den Ängsten davor. Und so ist „The Passionate Ones“ ein existentielles Album geworden. Mit großen Melodien, großen Gesten und hechelnden Höhepunkten. Die Anleitung zur Befreiung, die uns Nourished By Time mit seinem zweiten Album liefert, ist hingegen bemerkenswert banal: Liebe. „Our only real purpose as humans is to experience love. Everything else is just imaginary, something we created“, so Brown kürzlich im NME. Auch wenn er oft so klingt: Ein Prediger wollte Brown nie sein. Und einen Kult um sich würde er schon gar nicht dulden.

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