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Orhan Pamuk: Die rothaarige Frau

Orhan Pamuk hat mit „Die rothaarige Frau“ einen auf den ersten Blick unpolitischen Roman geschrieben.

Mitte der 1980er arbeitet der junge Cem als Gehilfe für den Brunnenbauer Mahmut im unwirtlichen Örtchen Öngören gleich vor Istanbul. Meter für Meter arbeiten Sie sich nur mit Eimer und Spitzhacke bewaffnet am Flaschenzug für den Aushub in die Tiefe, um Wasser für eine Fabrik auf dem Bauland zu erschließen. Dann passieren gleich zwei Dinge auf einmal: Cem schläft mit der rothaarigen Schauspielerin eines fahrenden Theatertruppe, und einen Tag später kommt es am Brunnen zu einer Katastrophe. Ein Eimer voll mit Erdreich fällt 25 Meter in die Tiefe, wo Mahmut steht. Cem läuft davon … Viele Jahre und ein Geotechnikstudium später führt Cem eine Firma, die durch den Bauboom in der Türkei immer vermögender wird. Brunnen werden inzwischen mit modernster Technik gebohrt, die Türkei vom Kapitalismus überrollt. Auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Karriere aber tut Cem etwas, wodurch er von der Vergangenheit heimgeholt wird, und dann sitzt plötzlich jemand wegen Mordverdachts im Gefängnis von Siliviri. Orhan Pamuk hat mit „Die rothaarige Frau“ einen auf den ersten Blick unpolitischen Roman über Männer ohne Väter geschrieben. Obwohl das Gefängnis in Siliviri nur fünf Kilometer von Öngören entfernt liegt und dort aktuell viele der verhafteten Oppositionellen einsitzen, sucht man Tagespolitik in diesem Roman vergeblich. Statt dessen widmet sich Pamuk dem Vatermord am Beispiel von Ödipus sowie dem persischen Nationalepos Schahname von der Ermordung Sohrabs durch seinen Vater Rostam. Geschickt legt er mit der morgenländischen und der abendländischen Sage eine verbindende Schablone über die Geschichte und beschwört damit das Gemeinsame, wo sonst nur Trennendes unsere politische Agenda bestimmt. jw

Orhan Pamuk Die rothaarige Frau

Hanser, 2017, 288 S., 22 Euro

Aus d. Türk. v. Gerhard Meier

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