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Der Schlüssel zu den Fußnoten

Owen Pallett im Interview zu seinem neuen Album „Island“
Foto: Yuula Benivolski

Mit seinem düsteren Meisterwerk „Island“ geht Owen Pallett an die eigenen Abgründe – und entdeckt dabei seinen Humor.

Owen Pallett, vor sechs Jahren hast du mit „In Conflict“ ein autobiografisches Album veröffentlicht, von dem du heute im Rückblick sagst, dass es für dich nicht funktioniert hat.

Owen Pallett: Ich habe festgestellt, dass es für mich einfacher ist, persönliche Songs mit fiktiven Charakteren und einem Fantasy-Setting zu schreiben. (lacht) Wenn ich versuche, konkrete Ereignisse aus meinem Leben nachzuzeichnen, fühlt es sich für mich weit weniger wahrhaftig an.

Auf dem neuen Album „Island“ taucht erneut Lewis auf, ein aggressiver Bauer, den wir schon von „Heartland“ kennen. Und gen Ende der Platte kehrt auch der Gott namens Owen zurück, der ja eigentlich am Ende von „Heartland“ von Louis ermordet worden ist …

Owen Pallett: Lewis und Owen bilden zwei verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit als Songwriter ab. Aber es ist nicht klar, ob Owen wirklich zurückkehrt. Owen singt ja keinen Song auf der Platte, sondern sie sind alle aus der Perspektive von Lewis verfasst. Das wird sich erst später auf einem dritten Album auflösen.

„Island“ ist ein sehr düsteres Album, denn Lewis befindet sich auf einer Insel und verliert sich immer mehr in der Isolation.

Owen Pallett: Es geht um Stille und Stagnation. Jeder Song setzt ja damit ein, dass Lewis in seinem Bett aufwacht und sich fragt, wie das alles passieren konnte. Dieses passive Warten darauf, dass etwas passiert, steht für Depression. Tatsächlich ist „Islands“ bereits seit dem Frühjahr 2018 fertig, doch hatte ich sehr stark mit psychischen Problemen zu kämpfen und war mehrmals in einer Klinik. Erst nach anderthalb Jahren habe ich mich stabil genug gefühlt, um diese Platte zu veröffentlichen.

Meine Lieblingszeile der Platte ist aus dem Stück„Transformer“: „I think I’ve found the cure: Make sure to live a quarter of your waking life in the present.“ Das klingt nach keiner schlechten Strategie, um mit Schmerz umzugehen, aber auch mit dem Älterwerden.

Owen Pallett: Irgendwo habe ich mal die Theorie gelesen, dass man nur bis 35 lebt. Alles, was danach kommt, sind nur noch Fußnoten und begleitender Kommentar. (lacht) Ich stimme da nicht voll zu, aber tatsächlich machen wir mit der Zeit so viele Erfahrungen und sammeln Erinnerungen an. Es besteht die Gefahr, dass sie uns vom Leben abhalten. Irgendwann ist nichts mehr neu, man hat immer das Gefühl, alles schon mal so ähnlich erlebt zu haben.

Hatte die Arbeit an „Island“ für dich eine kathartische Wirkung?

Owen Pallett: Gar nicht, denn das Songschreiben ist für mich nur eine Beschäftigung. Es stresst mich eher, da ich dabei immer bestimmte Erwartungen an mich selbst richte und nur schwer abwarten kann, bis ein Song erscheint. Das einzige, was hilft, ist das Üben an einem Instrument. Momentan spiele ich jeden Tag mindestens zwei Stunden lang Bratsche. Für Musiker ist das wie Sport.

Obwohl die Platte sehr düster ist, gibt es auch lustige Momente. „A bloody Morning“ beginnt etwa mit der Zeile „Started drinking on the job/and the job became easy“. Ist Humor ein Rettungsanker?

Owen Pallett: In jungen Jahren war ich sehr viel glücklicher – und überhaupt nicht witzig. Jetzt, wo die Traurigkeit immer mehr mein Leben bestimmt, mutiere ich mitunter regelrecht zum Comedian. Manchmal bringe ich meine Freund*innen einen ganzen Abend lang zum Lachen und kann damit noch gar nicht so richtig umgehen. Humor ist ganz sicher ein Bewältigungsmechanismus.

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