Patrícia Melo: Der Nachbar
Melos schwarzhumoriger Krimi ist eine genüsslich überzeichnete Loserstory mit sozialkritischen Seitenhieben.
Manche Nachbarn möchte man am liebsten umbringen! Trittschall, Tröten, Türenknallen, Kinder- oder Kopulationsgeschrei – in dünnwandigen Mehrfamilienhäusern werden die Ohren stressanfälliger Menschen leicht mal überreizt. Penetrante Störenfriede lassen den Geduldsfaden zur kurzen Lunte werden, und beim nächsten kleinsten Störgeräusch geht das Lärmopfer an die Decke. In Patrícia Melos neuem Roman wird ein Lehrer in São Paulo von seinem Nachbar Ygor durch ständiges Klicken und Klackern beschallt. Der Genervte bläst zum Gegenangriff und wählt zunächst die subtile Guerillataktik mit kleinen Gemeinheiten, um sich für die Lärmbelästigung zu rächen. Unverhofft kommt er eines Tages an den Schlüsselbund seines Peinigers und verschafft sich Zugang zu Ygors Wohnung. Es kommt, wie es kommen muss: Durch Verkettung unglücklicher Umstände liegt Ygor bald tot in der Wanne. Tja, da hat er jetzt die Sauerei mit der Leiche! Der Biologielehrer kann beim Zerstückeln von Ygor zwar schlankerhand seine Anatomiekenntnisse anwenden und ihn in mehreren Koffern im Schrank parken, aber die unauffällige Entsorgung ist ein Problem. Denn ausgerechnet jetzt rückt seine Frau Marta damit raus, seit zwei Jahren ein Verhältnis zu haben, und ihr Geliebter Rodrigo beansprucht nun seinen Platz in der Wohnung.
Patrícia Melos schwarzhumoriger Krimi ist eine genüsslich überzeichnete Loserstory, die sie mit sozialkritischen Seitenhieben auf das großstädtische Leben in Brasilien verbindet. Augenzwinkernd zeigt Melo, wie leicht jeder zivilisierte und friedvolle Mensch den Halt im Leben verlieren kann – und dass vielleicht ja in jedem ein Gewalttäter schlummert. Moment mal – der Typ aus der Nebenwohnung will mich doch jetzt nicht wieder mit der Tuba ärgern, oder …? (nh)
Patrícia Melo Der Nachbar
Tropen, 2018, 159 S., 18 Euro
Aus d. Port. v. Barbara Mesquita