Perfume Genius: No Shape
Jodeln vor Glück: Die Euphorie der neuen Perfume-Genius-Platte „No Shape“ wirkt ansteckend – weil sich Mike Hadreas die eigene Zufriedenheit selbst nicht abkauft.
Mike, wenn wir beide jetzt schon in einem Hotelzimmer gelandet sind, kann ich dich ja fragen: Wollen wir zusammen jodeln?
Mike Hadreas (lacht): Verstehe, du springst auf den Song „Wreath“ an. Ich weiß ja nicht mal, ob ich das eigentlich richtig mache und woher die Inspiration genau kommt. Vor einiger Zeit habe ich bulgarische Frauenchöre für mich entdeckt, und die machen ziemlich spannende Sachen mit ihren Stimmen. Lustigerweise muss ich bei „Wreath“ aber immer auch an die Cranberries denken – was mir gar nicht so peinlich ist, weil ich den Song „Zombie“ irgendwie mag.
Generell überrascht das neues Album „No Shape“ mit großen Popmomenten, die dann auch noch stilistisch in ganz unterschiedliche Richtungen gehen.
Hadreas: Du hättest mal die Diskussionen mit meiner inneren Miesmacherstimme hören sollen. Die nämlich so: Du denkst jetzt also, du wärst ein Soulsänger, und bei einer sanften R’n’B-Nummer wie „Die 4 you“ lässt du auch noch Sade raushängen. Da habe ich schon eine Weile gebraucht, bis ich die passende Antwort gefunden habe: Fick dich, das klingt doch gut, und ich mach’ das jetzt auch so. Vielleicht ist Country das letzte große Tabu – davor habe ich echt Angst. Einige Elemente sind jetzt auch eingeflossen, aber ich liebe das Songwriting und die Popsensibilität von Dolly Parton so sehr … Wer weiß, vielleicht mache ich eines Tages ein queeres Countryalbum.
Auf den ersten beiden Platten hast du mit fragilen Pianosongs deine Jahre der Selbstzerstörung thematisiert, dann folgte mit „Too bright“ ein sehr wütendes Album. Wie ist dir jetzt dieser radikale Umschwung gelungen?
Hadreas: Anfangs habe ich die Richtung vom letzten Album weiterverfolgt und mit sehr düsteren Drone- und Ambient-Sounds gearbeitet. Die Songs waren auch richtig gut – aber sie sind mir viel zu leicht von der Hand gegangen. Dann entstand „Slip away“, und plötzlich wusste ich, dass dieser euphorische Popsong eine viel interessantere Richtung vorgibt. Nur gut, dass ich die Songs geschrieben habe, bevor Trump zum Präsidenten gewählt wurde – sonst wären doch all die düsteren Sachen auf dem Album gelandet.
Du hast die Popsongs am Anfang des Albums platziert, während in der zweiten Hälfte von „No Shape“ dann doch wieder mehr Wolken aufziehen.
Hadreas: Wenn ich die Platte durchhöre, dann ist das für mich, als ob ich ein Bild betrachte. Man sieht eine utopische Landschaft, in der es viel Licht und Hoffnung gibt – aber oft ist es eben auch nur eine Illusion. Je länger man das Bild betrachtet, desto stärker kommen die Zweifel an die Oberfläche.
Ausgangspunkt der Songs ist dein mittlerweile ja doch sehr glückliches Leben: Seit acht Jahren bist du clean und mit deinem Freund Alan zusammen. Hat dich dieses Klischee verunsichert, nach dem Musiker zwangsläufig schlechte Songs schreiben, wenn sie sich zu komfortabel in ihrem Leben eingerichtet haben?
Hadreas: In dem Klischee steckt viel Wahrheit, weil es aus dieser Position heraus unglaublich schwierig ist, nicht schmalzig oder langweilig zu sein. Ich für mich habe mir da aber keine Sorgen gemacht: Trotz all der guten Wendungen in meinem Leben herrscht noch immer so unglaublich viel Chaos in meinem Kopf. Happiness ist nichts für einen Menschen wie mich, ich werde dieses Licht am Ende des Tunnels nie erreichen. Das ist gar nicht so melodramatisch gemeint, nur werde ich die Zweifel und dieses Angst davor, mir selbst etwas vorzumachen, nie verlieren. Ich konnte auch überhaupt nur künstlerisch damit arbeiten, weil ich mit der Zufriedenheit und meinen derzeitigen Lebensumständen gegen meine Instinkte lebe.
Mit „Alan“ ist sogar eine ungemein berührende Liebeserklärung an deinen Partner auf der Platte, die durch die mantraartige Wiederholung der Textzeile „How weird“ über jeden Kitschvorwurf erhaben ist.
Hadreas: Ohne diese Textzeile wäre das Lied so belanglos wie ein Coldplay-Song. Wenn du mir vor acht Jahren vorausgesagt hättest, dass ich über eine so lange Zeit eine feste Beziehung mit einem Menschen habe werde und es mir auch gelingt, diesen Menschen über all die Jahre gut zu behandeln, hätte ich dir geantwortet, dass du rein gar nichts über mich weißt. Insofern ist „Alan“ auch ein Lied für mein jüngeres Ich. In schwuler Kunst geht es fast immer nur um die Jugend, es werden unerwiderte Gefühle oder der Anfang einer Liebe thematisiert. Aber ich erinnere mich noch, wie sehr es mich berührt hat, als ich in Therapiesitzungen auf ältere schwule Männer getroffen bin, die relativ zufrieden mit ihrem Leben waren.
Warum nur können wir frühe Selbstentwürfe nicht hinter uns lassen, wenn sie uns doch im Zustand des Unglücklichsein festhalten?
Hadreas: Ich weiß es nicht, aber wenn ich neue Menschen kennenlerne, merke ich, dass ich immer noch versuche, sie in ein Raster einzuordnen, dass ich mir in meiner Highschoolzeit angeeignet habe. Damit unterstelle ich wildfremden Menschen ohne jeden Grund, dass sie mich verletzen wollen.
Sie meinen, dir etwas ansehen zu können, was für sie ein Grund ist, dich zu diskriminieren. Hängt damit zusammen, dass deine utopische Vorstellung von Glück immer ein körperloser Zustand ist?
Hadreas (lacht): Schon als ich die Texte vom letzten Album abgetippt habe, war ich peinlich berührt, weil etwa fünfzig Mal das Wort „body“ auftaucht. Ich fühle mich in meinem Körper gefangen. Dazu kommt, dass ich durch meine Erkrankung an Morbus Crohn sehr auf mich aufpassen muss. Seit so vielen Jahren versuche ich nun schon, gut zu meinem Körper zu sein, trotzdem kann er mich jederzeit betrügen, und ich werde krank. Ich will meine schönen Gedanken und die guten Erinnerungen, aber ich will sie nicht eingeschlossen in einer Hülle, die so anfällig ist.
Interview: Carsten Schrader