Peter Plate und Ulf Leo Sommer: „Man muss es nur machen!“
Vor drei Monaten übernahmen Peter Plate und Ulf Leo Sommer die künstlerische Intendanz am Berliner Theater Des Westens. Zeit für ein Interview.
Sie waren und sind mit den Musicals „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ und dazwischen mit „Romeo & Julia“ mehr als nur erfolgreich. Seit drei Monaten aber sind Peter Plate und Ulf Leo Sommer am Theater des Westens in Berlin auch die künstlerischen Leiter. Zeit für eine Unterhaltung über die neue Verantwortung und die politische Haltung von Musicals.
Herr Plate, Herr Sommer, das erste Quartal ihrer künstlerischen Intendanz am Theater des Westens ist rum. Was lief überhaupt nicht gut?
Peter Plate: Wir können nicht klagen! Wie haben das beste Team der Welt, die liebsten Mitarbeiter:innen und sind einfach nur glücklich.
Da ist die nächste Frage ja schon beantwortet: Was freute Sie im ersten Quartal am meisten?
Ulf Leo Sommer: Ganz ehrlich, natürlich war das Highlight im ersten Quartal die Premiere von „Ku’damm 59“. Das ist ja was ganz Neues: Es ist ja keine richtige Fortsetzung von „Ku’damm 56“. Dass man einen zweiten Teil eines Musicals macht, der für sich selber steht, ist ja nicht selbstverständlich. Dass das so gut angenommen wurde vom Publikum wie von der Presse, war wahnsinnig schön für uns. Mit dieser Euphorie hätten wir nicht gerechnet.
Mit der künstlerischen Intendanz kam strukturell mehr Arbeit auf Sie zu. Was war Ihnen besonders wichtig?
Plate: Für uns ist ein Traum Wirklichkeit geworden: Nur für das Künstlerische zuständig zu sein und nicht dann, wenn das Haus einen Wasserschaden hat. Wir sind nur dafür zuständig, dass das Haus keinen „Dachschaden“ bekommt.
Sommer: Und insofern ist das natürlich ein Traumjob. Zuständig für das Programm zu sein ist eine Herausforderung, aber eine sehr schöne.
Musicals gehen derzeit nicht wirklich gut, die Ratlosigkeit beim Finden neuer Themen ist groß. Was machen Sie da richtig, gibt es Tipps, die Sie geben können?
Sommer: Das Allerwichtigste ist doch, dass man auf seinen Bauchinstinkt achtet. Zu viele Köche verderben den Brei. Bei fünf Leuten, die beraten, gibt es fünf Meinungen. Wenn man aber seinem Bauchinstinkt folgt und ein Thema wirklich liebt, dann gibt es immer ein paar Leute draußen, die es auch lieben. Was es nicht gibt, ist ein Rezept. Die sicherste Idee kann total schiefgehen, und die risikoreichste kann voll aufgehen.
Die Ku’damm-Serie birgt wie die Musical-Adaptionen sehr ernsthafte Themen, die gerade heute angesichts des Erstarkens rechtsradikaler bis faschistoider Kräfte in unserer Gesellschaft leider wieder virulent sind: Antisemitismus, Gewalt gegen Frauen, Schwulenhass. Hätten Sie sich vorstellen können, dass Sie mit ihren Musicals so beängstigend aktuell sein würden?
Plate: Leider ja. Wenn man mit offenen Augen durch das Leben geht, ist das in den letzten zehn Jahren durchaus zu beobachten gewesen. Umso wichtiger ist es immer wieder, den Finger auf die Wunde zu legen und zu sagen: Gleiche Rechte für alle! Davon sind wir noch meilenweit entfernt und müssen sogar aufpassen, dass wir vom bisher Erreichten nicht wieder zurückgehen. Insofern ist es gut, dass wir mit „Ku’damm 56“ und Ku’damm 59“ so gute Themen haben, aber auch mit „Romeo & Julia“. Und da schließt sich der Kreis: Im Musical ist alles möglich, man muss es nur machen.
Sommer: Jede Geschichte, die man erzählt, hat eine Haltung und ist auch dementsprechend politisch. Vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber letztendlich dann doch.
Ich habe im Internet das Gerücht gefunden, Sie hätten mal gesagt, dass Sie das Genre des Musicals im Grunde hassen. Bevor jetzt das Dementi kommt: Braucht man eine gewisse Abneigung gegen das Genre, um es mal so richtig gegen den Strich zu bürsten?
Plate: Hassen tue ich grundsätzlich gar nichts. Ich glaube aber, dass die Definition des Genres Musical in Deutschland sehr eng ist. Fasst man es weiter, kann man gar nicht sagen, dass man Musicals nicht mag. Dass man aus dem Gespräch heraus plötzlich anfängt zu singen, ist ja so verrückt! Dass man damit aber so viele Genres bedienen kann: Kindermusicals, klassische Disney-Musicals, aber auch schwere Kost. „Musical“ ist nur ein Oberbegriff für etwas. Und das, was man vielleicht nicht mag, ist nur ein bestimmtes Genre dessen, aber das Musical an sich finde ich ganz, ganz toll.
Sommer: Das ist wie mit Aussagen wie: Ich mag kein Drama! Ich mag keine Komödienfilme! Das geht nicht, das ist angesichts der Bandbreite in den Genres gar nicht möglich. Und noch was: Wir hätten das so nie gesagt, denn ich lehne wie Peter das Wort „Hass“ ebenfalls ab, es ist einfach doof.
Worauf muss man achten, wenn man wirklich ernsthafte Themen in der Handlung unterbringt? Sie verzeichnen Rekorde ja schon im Vorverkauf, wie funktionieren Ihre Themen bei einem so breiten Publikum?
Plate: Ich glaube, da bin ich wieder bei Ulf. Wir achten immer darauf, ob das Thema uns anspricht. Und ich glaube halt, dass der Berliner und die Berlinerin und natürlich das Umland gar nicht die absolut leichte Kost wollen. Die wollen gut unterhalten werden und einen schönen Abend haben, aber mit Anspruch. Man kann dem Publikum einiges zutrauen, man darf es nie unterschätzen!
Sommer: Wenn es Regeln überhaupt gibt für Oper, für Musikabende, für Theater, dann, dass es unterhält, dass es Emotionen hervorruft. Ein Stück soll auf irgendeine Art rühren.
Ist es nicht auch wichtig, dass die Thematik an die Lebenswelt der Menschen andockt? Das Musical „Hamilton“ ist musikalisch so toll, wurde in Hamburg nach einem Jahr aber wieder abgesetzt.
Sommer: „Hamilton“ ist musikalisch in der Tat absolut ein Meisterwerk und auch eine Mega-Idee. Aber es ist auch schwierig, weil in Deutschland kein Mensch weiß, wer Alexander Hamilton ist. Mir ging es auch so, als ich am Broadway reingegangen bin und nichts verstanden habe von der Handlung. Ich kannte mich mit der Gründungsgeschichte der USA schlicht nicht aus! Aber auch das weiß man vorher nicht, und hinterher ist man immer wahnsinnig klug. Wer hätte denn gedacht, dass „Singende Katzen“, die einen Wettbewerb machen, seit 20 Jahren ein Dauerrenner ist? Oder „Les Misérables“ – „Die Elenden“: Man weiß es vorher nicht.
Plate: Ich habe eine leicht andere Meinung als Ulf bei „Hamilton“. Ich könnte mir schon vorstellen, dass, wenn Hamilton auf englisch nach Deutschland kommt, erfolgreich ist. Dass es vielleicht nicht für Jahre, aber für einige Wochen jeweils durchaus voll ist. In den USA und auch in England wird dieses Musical ja überwiegend von jungen Menschen besucht – da stellt sich die Frage: War es zeitgemäß, das Musical einzudeutschen? Und da bin ich jetzt wieder bei Ulf. Hinterher ist man immer klüger. Meine Nichten waren große Fans von „Hamilton“, haben aber gesagt, es geht überhaupt nicht, das auf Deutsch zu hören.
Obwohl man sehr viel gelungene Arbeit in die nicht einfache Übersetzung gesteckt hat.
Sommer: Das stimmt, da habe ich nur Gutes gehört, aber ich glaube, junge Leute und Musical, das ist in den letzten Jahrzehnten ein bisschen versäumt worden beim Angebot. Ein Musicalticket ist oft auch zu teuer für junge Menschen. Daran versuchen wir zu arbeiten.
Letzte Frage an die Intendanten: Sie mieten das Theater des Westens ab 2025 für zunächst zwei Jahre ganz an. Da möchte man meinen – auch wenn ich im Internet Gegenteiliges recherchiert habe –, dass Sie auch noch den dritten Ku’damm-Teil auf die Bühne bringen wollen.
Plate Das schließen wir aus!
Ja, dachte ich.
Plate: (lacht) Es ist einfach so, dass „Ku’damm 56“ und „Ku’damm 59“ so toll geworden sind und das Thema damit abgeschlossen ist. (zögert kurz, dann bestimmt) Als nächstes kommt auf keinen Fall „Ku’damm 63“.
Sie haben wahrscheinlich schon was in der Pipeline, sagen aber nichts. Stimmt’s?
Sommer: Wir sind im leidenschaftlichen … wie heißt es?
Plate: Austausch?
Sommer: Austausch.
Eine so langweilig-diplomatische Antwort zum Abschluss?
Plate & Sommer: (lautes Gelächter)
Plate: Aber das hat ja auch so eine gewisse Sexiness, wir streiten uns jeden Tag rum und …
Sommer: Wir streiten nicht gegeneinander, sondern unterhalten uns miteinander. Wir haben eher zu viele Stoffe und diese schon auf zwei/drei Stoffe reduziert. Bis spätestens Oktober müssen wir uns entschieden haben.
Plate: Wir haben eigentlich die gleichen Faibles und trauen uns nur noch nicht.
Interview: Jürgen Wittner