Phil Siemers im Interview: Die Wolken vermeiden
Dass sich Soulboy Phil Siemers lieber an die Fakten als ans Schicksal hält, könnte an einem Baum in seinem Garten liegen.
Phil, dein neues Album „Marleen“ folgt einem authentischen Soulsound. Wie hat deine musikalische Sozialisierung ausgesehen?
Phil Siemers: Tatsächlich habe ich erst mit 13 angefangen, mich fürs Musikmachen zu interessieren. Ich hatte auch eine totale Folk- und Blues-Phase. Vorbilder waren aber im deutschsprachigen Kontext vor allem Ingo Pohlmann, Johannes Oerding, Gregor Meyle – also die klassischen Deutschpoptypen. Doch wer mich wirklich umgehauen hat, ist Bill Withers: Dieses Pure, Trockene hat mich total berührt.
Du singst auf dem Titelsong „Das Beschissene am Schicksal bleibt: Es kommt auch dann, wenn du nicht dran glaubst“. Du glaubst also an Schicksal?
Siemers: Ne, eher an das Prinzip Zufall und Zuversicht. Wenn ich mich der Welt gegenüber positiv öffne, kommt da auf jeden Fall etwas Besseres zurück – daran glaube ich. Andere bezeichnen das als selbsterfüllende Prophezeiung oder Schicksal. Wenn du immer nur mit der grauen Wolke grantelnd durch die Welt läufst, kriegst du das von den anderen Menschen natürlich gespiegelt.
Wie vermeidest du die graue Wolke?
Siemers: Bei mir im Umfeld kommen gerade viele Kinder nach – das ist natürlich ein beliebtes Beispiel, aber es stimmt nun mal. Da tun sich vergessene Welten in deiner Wahrnehmung auf. Man wird blind für die kleinen Dinge im Leben. Da hat mir auch die Pandemie die Augen geöffnet: Noch nie habe ich die Jahreszeitenwechsel so intensiv wahrgenommen. Ich habe gedacht: Hat sich dieser Baum dort in meinem Garten wirklich schon immer so schnell und so krass verändert? (lacht)
Auf „Tun nur so“ verhandelst du unverbindliche Liebe. Das Überangebot an Möglichkeiten scheint heute viele Menschen zu lähmen.
Siemers: Total, auch unabhängig von Dating oder so. Das ist ein absolutes Luxusproblem unserer Generation. Als ich damals von der Schule abgegangen bin, dachte ich: Fuck, ich kann mit diesem Abischnitt alles machen – und zack, hatte ich ein Problem. Selbstverwirklichung war in der Generation unserer Eltern gar keine Option. Entscheidungsfreiheit ist immer auch eine Bürde, und trotzdem möchte ich mit dem Song sagen: Es muss nicht immer der Real-Deal sein – was ist schon „das Richtige“?
Auf deinem Album wird gelogen, so getan als ob und nach Good News verlangt, die im Notfall auch erfunden sein können. Ist die Flucht aus der Realität eine logische Folge angesichts der Informationsflut und den dauerhaften Krisenerzählungen?
Siemers: Irgendwie schon. Es ist vollkommen okay, sich aus dieser Informationsflut und den omnipräsenten Krisen herauszuwinden – aber mithilfe der Fakten. Da gibt’s ein ganz spannendes Buch: „Factfulness“ von Hans Rosling. Das ist quasi eine Handlungsanweisung zu einer faktenbasierten Weltanschauung, die gleichzeitig die Katastrophenerzählungen sachlich relativiert.