Philipp Poisel: Mein Amerika
Lange Zeit war unklar, ob er überhaupt noch eine Platte macht. Doch dann musste Philipp Poisel mal eben kurz den amerikanischen Traum retten.
Es ist auch dann nicht immer leicht, wenn man den rücksichtsvollsten Chef der Musikindustrie hat. „Die Freiheit zu haben, dass man abgeben kann, wann man will, führt sehr schnell dazu, dass man alles ins Unendliche schiebt“, gibt Philipp Poisel zu bedenken. Natürlich will er seine Luxussituation bei Herbert Grönemeyer nicht missen, und vermutlich würde der 33-jährige Songwriter auch unter keinem anderen Plattenfirmenboss funktionieren – doch wenn der Rat auch mit der Zeit nicht kommt, verlangt selbst Poisel nach Druck und Autorität. „Ich liebe es, auf dem Klavier rumzuklimpern und Gitarre zu spielen, aber um wirklich Songs fertigzustellen, brauche ich meist einen Anstoß von außen.“ Den lieferten sein Produzent und die Bandmitglieder, die einfach keinen Bock mehr hatten, auf das dritte Studioalbum zu warten, und ihnen ist es zu verdanken, dass sechseinhalb Jahre nach seinem Erfolgsalbum „Bis nach Toulouse“ jetzt tatsächlich „Mein Amerika“ erscheint.
Natürlich wendet Poisel völlig zu Recht ein, dass zwischen „Bis nach Toulouse“ und „Mein Amerika“ ja auch immer größer werdende Konzertlocations und die Veröffentlichung der Live-DVD „Projekt Seerosenteich“ liegen – was nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, dass er mit den neuen Songs nicht aus dem Quark gekommen ist. „Die Hallen wurden auf einmal so groß, dass ich machmal nicht mehr wusste, wie ich das ausfüllen soll“, erinnert er sich an den Wendepunkt, an dem sein reduzierter Singer/Songwriter-Sound dem immer größer werdenden Erfolg nicht mehr standhalten konnte. Da ist es eine Sache, die alten Songs ins Bandformat zu transformieren und mit einem Streicherquartett zu veredeln. Aber hält so ein eigenwilliger Künstler wie Poisel es auch aus, mit seiner Band ins Studio zu gehen und die Mitglieder am kreativen Prozess zu beteiligen? „Ich habe früher schon in Bands gespielt, und da war es immer so, dass ich ganz konkrete Vorstellungen hatte, wie alles aussehen soll“, erinnert er sich an eine Vergangenheit, die ihm gezeigt hat, wie schwer ihm Kompromisse fallen. Er hat sich trotzdem auf das Experiment eingelassen – und so stolz er auch auf „Mein Amerika“ ist, knappst er bis heute an dem Verlust der uneingeschränkten Kontrolle. „Es gibt Sachen, die man cool findet und die man allein auch nicht geschafft hätte, aber es gibt eben auch Dinge, die ich im Alleingang anders gemacht hätte“, sagt er.
Doch wer weiß, wie lange er ohne die Band an seiner Seite gebraucht hätte, um endlich den Sehnsuchtsort seiner Kindheit zu besuchen. Es waren lediglich 14 Tage, die sie im Blackbird Studio in Nashville verbracht haben, doch haben diese zwei Wochen nicht nur angestoßen, dass Poisel mit Keyboard und Chor auch mal den Schlenker zum Gospel wagt oder sich hier und da eine Countrymelodie andeutet. Er nimmt das durch Filme und Popkultur verklärte Bild vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um in den Texten von Freiheit und Abenteuern zu träumen. „Natürlich hält die Realität dem nicht Stand, aber der Ursprungsort, aus dem sich diese Sehnsucht speist, den gibt es ja trotzdem noch“, erklärt er – und lässt sich diesen Traum auch nicht von Donald Trump zerstören. „Umso wichtiger ist es doch, auf dieses andere Bild hinzuweisen.“
Auch mit dem neuen Sound hält Philipp Poisel seine Sonderstellung unter den deutschen Songwritern – und es bleibt nach wie vor ein Mysterium, woran das eigentlich genau liegt. Sicher, er hat eine ganz und gar eigene Intonation und wagt sperrige Momente. Aber reicht das als Erklärung dafür aus, dass man bei ihm von Textzeilen berührt ist, die man bei seinen Kollegen als kitschig abgelehnt hätte? Es kann nur eine Persönlichkeitsfrage sein – was umso mehr überrascht, da Poisel ja von Anfang an das Privatleben tabuisiert hat und nur seine Musik sprechen lassen wollte.
Vermutlich ist es einfach vielsagender, das idealisierte Amerikabild und die Aufbruchstimmung mit einer Single wie „Zum ersten Mal Nintendo“ zu kontrastieren, in der es um die Verbundenheit mit der kleinen Welt des Heimatkaffs geht, in dem man seine Jugend verbracht hat. „Viele Leute werden es sicher unspektakulär finden, dass ich für zwei Wochen nach Amerika geflogen bin, aber für mich war der lange Flug und das So-weit-weg-von-Zuhause-Sein ein weltbewegendes Ereignis.“ Ausbrüche sehen in Poisels momentanen Lebensphase sonst eher anders aus: „Ich mache eine Fahrradtour nach Stuttgart, und zu meinem Geburtstag habe ich mir den Wunsch erfüllt, mein Handy auszuschalten und mich einfach mal für zwei Wochen bei niemandem zu melden.“ Verschroben, aber irgendwie auch sympathisch.
Da versteht man dann auch, warum die langen Jahre des Haderns für das Album so entscheidend waren: Auch in ihnen spiegelt sich das Zerrissensein zwischen Ausbruch und Verantwortung. „Weil ich das Musikmachen lange Zeit nicht mehr mit einer kompletten Freiheit verbinden konnte, habe ich oft lieber gemalt: Da gibt es dann weder Erwartungen noch Bewertungen.“ Das Plattenveröffentlichen am Fließband ist für Philipp Poisel keinesfalls gesetzt – und das weiß natürlich auch Chef Grönemeyer ganz genau. „Mir gefällt der Gedanke, mich als Künstler zu definieren und mich dabei nicht in einem Käfig zu sehen, in dem man nur Musik machen darf. Wer weiß, vielleicht konzentriere ich mich bald wirklich auf die Malerei und hoffe, dass sich zumindest ein paar Leute für meine Ausstellungen interessieren“, sagt er mit einem Lachen, das die Aussage keinesfalls voll entkräftigt. Spätestens dann wird Grönemeyer hoffentlich den autoritären Plattenfirmenboss raushängen lassen.