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„Who’s next?“: Die Ausstellung fragt, was Architektur gegen Obdachlosigkeit tun kann

Pinakothek der Moderne: „Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“
The Glowing Homeless, Greenpoint, Brooklyn, 2011 Neonskulptur der Künstlerin Fanny Allié, die sich mit der Unsichtbarkeit und Ent- menschlichung von Obdach- losen in New York City ausei- nandersetzt. © Fanny Allié

Obdachlosigkeit hat durch Corona weltweit zugenommen. Daniel Talesnik kuratiert in der Pinakothek der Moderne in München eine Ausstellung, die Lösungen sucht.

Daniel Telasnik, Ihre Ausstellung Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt ab 4. November im Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne fragt: Was kann Architektur leisten, um Obdachlosen einen festen Wohnsitz zu ermöglichen. Wie kamen Sie auf die Idee dazu?

Daniel Talesnik: Im Bewusstsein der steigenden Zahlen an Obdachlosen überall auf der Welt fingen wir im Frühjahr 2019 an, über eine Ausstellung nachzudenken. Die Frage, die sich uns dabei natürlich stellte, war: Was sollen wir untersuchen, und wie sollen wir es verbildlichen, ausstellbar machen? Das Thema ist kompliziert und heikel und nicht nur mit Architektur verbunden. Dann kam Corona, und Dringlichkeit und Ausmaß der Krise wurden noch deutlicher, schon daher, weil es den Betroffenen unmöglich war, in einer Obdachlosenunterkunft den nötigen Abstand einzuhalten. Wir schauten uns auch acht Städte außerhalb Europas an, um die Globalität der Krise zu verstehen: Los Angeles, Moskau, Mumbai, New York, São Paulo, San Francisco, Shanghai und Tokio. Mit dem Blick dorthin wollen wir darauf aufmerksam machen, dass der Sozialstaat in europäischen Ländern zwar schrumpft, er aber gleichwohl überhaupt existiert und vielleicht wieder ausgebaut werden sollte.

Pinakothek der Moderne: „Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“
Daniel Telasnik

„Sozialer Wohnungsbau alleine wird das Problem nicht lösen“

Was kann Architektur dazu beitragen, das Leben von Obdachlosen zu verbessern?Was werde Sie dazu in der Ausstellung in der Pinakothek sagen?

Talesnik: Die einfache Antwort ist: sozialer Wohnungsbau. Idealerweise sollten Architektinnen und Architekten diejenigen sein, die sich Wohnprojekte ausdenken und entwerfen, die auf diesen spezifischen Aspekt der Wohnungsbaukrise reagieren. Aber nicht nur im Wohnungsbau, auch bei öffentlichen Gebäuden sollte ein Bewusstsein für diese Krise bestehen. Bibliotheken zum Beispiel haben eine aktive Rolle in lokalen Reaktionen auf die Obdachlosenkrise. Doch wir wissen, dass sozialer Wohnungsbau alleine das Problem nicht lösen wird; in vielen Fällen ist eine umfangreiche Unterstützung nötig, damit obdachlose Menschen langfristig ein Dach über dem Kopf haben und auch behalten. Und hier kann architektonische Gestaltung etwas beitragen – sie kann über die Charakteristik von sozialem Wohnungsbau nachdenken, kommunale Orte vorschlagen und/oder interessante Wege finden, um Wohnungen mit psychischen und medizinischen Betreuungseinrichtungen zu kombinieren.

In der Stadtentwicklung wird die Mobilitätswende diskutiert, die CO2-Neutralität der Städte, der Umgang mit den Innenstädten, die im Zuge der Coronakrise des stationären Handels lebenswerter gestaltet werden sollen. Worüber man überhaupt nicht spricht, ist der Raum, der in diesem urbanen Utopia für die Menschen ohne Wohnung vorgesehen ist.

Talesnik: Das ist ein interessanter Punkt, der unbedingt analysiert werden sollte. Offensichtlich schreitet die Wohnungskrise parallel zu dem voran, was Sie Utopia nennen. Und während die Städte immer weniger bezahlbar sind, werden mehr und mehr Menschen aus ihnen ausgeschlossen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Mobilitätsangebote wie E-Scooter, E-Bikes und E-Ride-Sharing, die man nur nutzen kann, wenn man sie sich leisten kann, und die wieder individuelle Verkehrsmittel sind und keine kollektiven wie die U-Bahn.

Pinakothek der Moderne: „Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“
Pinakothek der Moderne: „Who’s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt“ Foto: Tokyo 2003 © Myrzik und Jarisch

In diesen geplanten autofreien Smart Cities mit ihren Parks und Kulturangeboten, den Cafés und Spielplätzen kann man sich kaum Menschen vorstellen, die auf der Straße schlafen oder um Geld betteln. Wie integriert man die, die nie integriert werden?

Talesnik: Die Frage hier könnte sein: Für wen ist die Smart City? Das Thema „Betteln“ ist interessant. In Shanghai, wo Bargeld nach Recherchen unserer Mitarbeiter fast komplett verschwunden ist, gibt es das Betteln noch, aber via Überweisungen mit Handys! Ein weiterer Punkt ist: Selbst wenn die neue Stadt diejenigen nicht integriert, die meistens ausgeschlossen werden, so ist es immer noch möglich, sie noch stärker auszuschließen. Es gibt einen wachsenden Trend in den Städten der Welt zu defensiver oder feindlicher Architektur: Parkbänke mit baulichen Unterteilungen, die Menschen daran hindern soll darauf zu schlafen, Gehwege mit Spikes und Unterführungen, die so gestaltet sind, dass man keine Zelte darin aufbauen kann.

Interview: Volker Sievert

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