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Radiohead: A Moon shaped Pool

Ein psychedelischer Ozean: Radiohead

Das weise Rauschen

Während die Welt sich bemüht, Radioheads apokalyptische Visionen umzusetzen, kontert die Band: mit Ratlosigkeit.

 

Spätestens seit Weihnachten sind auch durchschnittlich fanatische Radiohead-Fans in Aufregung. Da nämlich stellte die Band „Spectre“ ins Netz, ihren von den Verantwortlichen abgeschmetterten Bond-Song. Die Filmleute wollten doch lieber die Sam-Smith-Nichtigkeit „Writing on the Wall“. Seither gab es fast täglich einen Hinweis darauf, dass die Ankunft des nunmehr neunten Radiohead-Albums kurz bevorsteht: hier ein vermeintlicher Verplapperer aus dem engsten Bandumfeld, dort ein neues Profilbild auf Facebook und immer wieder mal ein kryptischer Tweet von Thom Yorke.

Während CD und Vinyl erst Mitte Juni folgen, stand „A moon shaped Pool“ plötzlich Anfang Mai als Download bereit, und obwohl das Quintett aus Oxford einiges gewohnt ist, sorgte das Album für ein unerwartet heftiges Medienbeben. Natürlich liegt „The King of Limbs“ bereits fünf Jahre zurück, und auch wenn man es als Fan nur ungern zugeben mag, übertanzte Yorke damals mit dem Video zur Single „Lotus Flower“ die Tatsache, dass Radioheads bis dato elektronischstes Album zerfaserte, verhallte und eine ungewohnt geringe Halbwertzeit besaß. Doch der Entzug allein kann die Tatsache nicht erklären, warum sich bereits innerhalb weniger Tage die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Radiohead wieder mal einen musikalischen Gegenwartserklärer veröffentlicht haben – zumal es noch Monate dauern wird, bis sich die volle Kraft dieser vordergründig sehr eingängigen, aber fordernden, tiefgründigen Platte entfaltet haben wird.

In gewisser Weise docken Radiohead an den Sound von „Spectre“ an, denn in fast allen Songs sind die Streicher des London Contemporary Orchestra zu hören, die sich warm an die psychedelischen, am experimentellen Folk der 70er orientierten Kompositionen schmiegen. Doch sie unterlegen auch Yorkes verzweifelte Ausbrüche mit Dramatik – und halten die Elektronik im Hintergrund, dieses fast durchgängige Schaben, Brummen und Rauschen. Bei seinem Hadern mit der nie verstummenden Welt stehen die Streicher auf Yorkes Seite.

„When I see you messin’ me around, I don’t want to know“ singt Yorke in „Identikit“, dem wohl größten Popmoment des Albums, und kurz zuvor in der Pianoballade „Glass Eyes“ heißt es: „I feel this love turn cold“. Trotzdem würde es zu kurz greifen, „A moon shaped Pool“ als Trennungsalbum zu interpretieren, mit der er das Scheitern seiner 23-jährigen Beziehung verarbeitet. So uneindeutig Yorkes Texte nach wie vor sind, ist er nicht mehr der souveräne Wortjongleur, der Slogans und vermeintliche Worthülsen aufreiht, um dahinterliegende Wahrheiten durchschimmern zu lassen.

Das neue Album ist durchsetzt von Ratlosigkeit, und dazu passt die Tatsache, dass die meisten Songs bereits seit Jahren als Skizzen existieren und von der Band schon häufig bei Konzerten gespielt wurden. „A moon shaped Pool“ ist auch eine Rückschau, ein Sich-selbst-Hinterfragen, das selbst Gewissheiten wie die politische Verortung nicht auslässt. Erneut wagen sich Radiohead an den Abgrund, doch mittlerweile kann die Welt leider viel zu gut mit der Drastik von Yorkes apokalyptischen Visionen mithalten. Nicht umsonst hat „True Love waits“ endlich seinen Platz auf einen Radiohead-Album gefunden; dieser Song, der bereits 2001 auf dem Livealbum „I might be wrong“ zu hören war.

„I’m not living, I’m just killing time“, klagt Yorke, und immer wieder: „Just don’t leave, don’t leave“. Es ist der letzte Song auf „A moon shaped Pool“, und er hat jetzt eine ganz andere Qualität als vor 15 Jahren.

Carsten Schrader

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