Richard Dawson über „End of the Middle“: Das Mittelmaß aller Dinge
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Richard Dawson hat das zugänglichste Album seiner Karriere geschrieben. Warum klingt es trotzdem so einzigartig?
Richard, nach einer Reihe von Konzeptalben über das Mittelalter oder die ferne Zukunft ist „End of the Middle“ plötzlich das Gegenteil: musikalisch simpel, mit Texten über den Alltag der britischen Mittelklasse. Wie bist du dazu gekommen?
Richard Dawson: Ich will generell immer etwas anderes machen als vorher. Im Zentrum stand dieses Mal die Idee, ein häusliches Album aufzunehmen. Ein Teil war dabei auch eine Herausforderung an mich selbst: Ich wollte die melodischsten Songs mit den besten Texten schreiben, mich nicht hinter Konzepten verstecken. Ich habe allerdings festgestellt, dass das Album dadurch umso seltsamer geworden ist – was sehr schön war.
Trotz alldem gibt es etwas wie ein angedeutetes Epos: Figuren, die mehrfach auftauchen, Zusammenhänge im Hintergrund. Passiert das einfach früher oder später, wenn du an einer Platte arbeitest?
Dawson: Eigentlich versuche ich immer, so direkt wie möglich zu sein. Ich würde nie mit Absicht verwirrend oder kompliziert sein. Aber wenn du über Menschen schreibst, wird es am Ende immer komplex, weil Menschen nun mal komplex sind – und auf andere Art sehr simpel. Wir alle erleben Momente, in denen wir hoffnungslos verstrickt sind, und dann wieder andere, in denen uns alles leicht vorkommt. Ich hoffe, das kommt auch in der Musik rüber.
Wenn etwa eine Figur namens Jen in mehreren Liedern auftaucht, ist natürlich die Versuchung groß, ein mentales Beziehungsdiagramm zu erstellen. Wäre das überhaupt in deinem Sinne?
Dawson: Es gibt keine Nachnamen in den Songs, und es heißen ja viele Leute Jennifer. Theoretisch könnte es auf dem Album um verschiedene Generationen derselben Familie gehen – muss es aber nicht. Ich weiß bestimmte Dinge über die Beziehungen zwischen den Figuren, aber ich will, dass die Leute ihre eigenen Familien und Freund:innen in den Songs wiedererkennen. Zugleich konnte es aber auch nicht pures Chaos sein. In meinem Kopf existiert eine Art Karte, die ist allerdings ein bisschen verschwommen.
Macht es für dich einen Unterschied, ob du über Leute schreibst, die in der Vergangenheit oder der Zukunft leben, oder über die Gegenwart?
Dawson: In beiden Fällen will man den Menschen gerecht werden. Aber natürlich kannst du dir weniger Freiheiten erlauben, wenn du über einen Alltag schreibst, den deine Hörer:innen selbst kennen. Außerdem ist die Sprache weniger elastisch, und dann sind die Songs auf „End of the Middle“ auch deutlich kürzer als sonst. Andererseits musste ich etwa für „The ruby Cord“ viel Science-Fiction lesen, damit alles plausibel war. Dieses Mal musste ich nichts recherchieren, trotzdem waren einige Songs echt schwer zu schreiben.
Welche denn?
Dawson: Zum Beispiel „Removals Van“: Die Idee war sehr stark, und ich hatte die Struktur deutlich vor Augen. Zeile für Zeile war es trotzdem schwierig. Das ist aber auch gut so, es soll ja schwierig sein – und einfach zugleich.
Ich habe durch „End of the Middle“ auf jeden Fall wieder einige Wörter gelernt, die ich vorher nicht kannte. Warum ist dein Vokabular so viel größer als das anderer Songwriter?
Dawson: Wie gesagt, ich versuche immer, möglichst direkt zu sein. Aber es ist seltsam: Unsere Standards für Songs sind anders als für Bücher oder Filme. Ich weiß nicht genau, warum es so gekommen ist – vielleicht wegen der Werbung oder des Radios. Sobald ein Song diese engen Grenzen sprengt, ist es ein Schock für uns. Mir fällt keine andere Kunstform ein, die auf der einen Seite so allgegenwärtig und beliebt, auf der anderen zugleich so unterschätzt ist.