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„Wir können die Kultur nicht den Bach runtergehen lassen“

Joerg Lehmann und Roland Krueger
Joerg Lehmann und Roland Krueger vor Ort im Hamburger Kabarett Polittbüro (Foto: Jürgen Wittner)

Wie kann man Viren mit Hilfe der Physik an die Wand klatschen? Jörg Lehmann und Roland Krüger erzählen im Hamburger Polittbüro, wie's geht.

Herr Lehmann, Herr Krüger, kommt Ihr Modell der Luftreinigung irgendwo an seine Grenzen, in Musikklubs oder Discos zum Beispiel?
Jörg Lehmann: Bei extremen Ballungssituationen, im Fußballstadion zum Beispiel, sollte man schon Abstandsregelungen einhalten. Wir kommen mit der Technik, das haben wir im Theater Chemnitz vermessen, bis auf 40 cm an die Personen ran. Die Elektronen verteilen sich ja überall im Raum, das ist ein physikalischer Prozess. Aber der Körper emittiert ja auch, wir riechen, wir schwitzen, das muss abgebaut werden, und die Grenze dafür liegt etwa zwischen 30 und 40 Zentimeter.
Roland Krüger: Durch die Ionisierung gehen die Partikel sehr schnell zu Wand oder Boden. Es sind also nicht mehr die gesetzlich festgesetzten 1,5 Meter, sondern nur noch zwischen 40 und 60 cm Abstand nötig.

Von wem kam bis 2020 die größte Nachfrage nach einer Modernisierung von Lüftungsanlagen?
Krüger: In Deutschland sind die Geräte wirklich schwer zu vermarkten, weil viele sagen: Iiih! Ozon!
Lehmann: Wir haben mehrere 100 Anlagen in Betrieb. Das sind dann meistens Kostenfragen. Ein Beispiel: Wir haben in Berlin einen Baumarkt ausgestattet. Wir haben so groß dimensioniert, einmal thermodynamisch, um die Luft aufzubereiten und genügend Sauerstoff für die Kunden zur Verfügung zu stellen. Dafür braucht man eigentlich wenig. Ein sehr großer Anteil der Dimensionierung liegt darin, dass man die Geruchslasten und Stäube aus der Luft rauskriegt. Dadurch sind die Anlagen riesig, aber wenn Sie unsere Technik einsetzen, können Sie die Abluft wieder als Zuluft verwenden, die ist aufbereitet und hat eine bessere Qualität als die Außenluft dieser Anlagen. Das ist dann natürlich ein Kostenfaktor. Wir haben Amortisationszeiten von sechs Monaten bis maximal zweieinhalb Jahren. Wenn ich nun weniger Energie verbrauche mit dieser Anlage, verursache ich weniger CO2 und kann in den Zertifikatenhandel einsteigen. Ein großer Baumarkt spart im Jahr 600 bis 700 Tonnen CO2.
Krüger: Wir arbeiten mit einem Textilwarenhaus zusammen, das kriegt Textilien aus der ganzen Welt. In Containern auf dem Schiff verpackt. Die müssen gegen Schimmel und alles Mögliche geschützt werden. Wenn die ausgepackt werden, habe ich eine Geruchslast in den Räumen, die durch unsere Anlage deutlich reduziert werden kann. Man hat sogar in Untersuchungen herausgefunden, dass die mit Ionisierung und Aktivsauerstoffversorgung behandelten Kaufhäuser eine längere Verweildauer der Kunden im Haus haben. Einkaufen ist sowieso Stress, und wenn dann noch schlechte Luft auf den Körper dringt, will ich raus.

Roland Krüger: Der Investor hat kein Interesse

Wie kommt es dann, dass viel große Häuser, auch Elektronikmärkte, noch nicht ausgestattet sind?
Krüger: Wir haben in Deutschland das Eigentümer-Investor-Mieter-Dilemma. Ein Bauträger baut ein Gebäude, und der refinanziert sich durch einen günstigen Einstieg. Der Bauträger verkauft das Gebäude dann an einen Investor. Der Investor aber sagt: Was interessieren mich die Betriebskosten!Ich vermiete das! Der Bauträger hat gar kein Interesse, eine hochwertige Technik einzubauen, weil damit seine Rendite sinkt. Der Investor aber sagt: Dinge, die die Betriebskosten senken, interessieren mich nicht. Die ist für mich eine durchlaufende Position.

Können sie noch ein paar Details zum Berliner Baumarkt nennen, den Sie ausgestattet haben? Mich interessiert dabei, was über das einzelne Projekt hinausweist.
Lehmann: Das ist eine Kette. Wir und unsere Partner sind von denen gesetzt wegen unserer guten Ergebnisse. Das Bauhaus auf dem Kurfürstendamm ist geplant gewesen mit 150 000 Kubikmeter Lüftungsanlage. Dann sind wir ran und haben die Anlage optimiert und sie dabei auf die Hälfte verkleinert. Wir machen uns da keine Freunde im Lüftungsbau, wenn durch uns die Anlagen kleiner werden. Die waren angelegt auf 100 Prozent Außenluft, betrieben wird die Berlin Anlage zur Zeit mit 100 Prozent Umluft. Den Sauerstoffersatz, den die brauchen, holen sie durch die Schleusen. Das funktioniert ganz allein durch die offenen Türen. Das läuft hervorragend. Das hat sich so schnell amortisiert, dass die Kette gesagt hat, ihr seid bei uns jetzt gesetzt. Kurios ist: Wir sind seit 2006 im größten Krankenhaus der Niederlande in Eindhoven. 21 Lüftungsanlagen sind nachgerüstet worden, die werden im Jahr mehrfach überprüft. In allen Operationsräumen. Die Behörden dort sind nicht zimperlicher als unsere Behörden. Wir haben seit 2006 null Keime in den Operationssälen und null Feinstaubpartikel. Nur wenn bei der Operation der Körper geöffnet wird und Blut heraustritt, hat man bei der Messung einen Peak, der innerhalb von Sekunden wieder runtergeht. Die haben bei den Operationen keine Probleme mit MRSA oder Keimen. Das ist für die Klinik ganz, ganz wichtig. Deshalb sind sie in der Hygiene Deutschland auch um eine Nasenlänge voraus.

Jörg Lehmann: Wir haben die Technik für den Normalbetrieb

Ein Institut in Schwerin führt derzeit Untersuchungsreihen für ein Gutachten zu Ihrer Anlage durch. Es will bis Dezember Ergebnisse liefern.
Lehmann: Sie brauchen ein deutsches Gutachten für Deutschland. Ein Gutachten aus China oder den Niederlanden zählt hier nicht. Auch ein EU-Gutachten nicht. Wir wissen schon jetzt das Ergebnis nach unserer Erfahrung der letzten 20 Jahre, aber wir lassen das Gutachten jetzt erstellen. Es wird diesmal ganz speziell mit gezüchteten Coronaviren der ungefährlichen Sorte getestet, diese Viren gehören zum Stamm von Covid-19. Da werden aus der Luft Proben genommen, nicht auf der Fläche. Damit können wir hinterher sagen, wie viel Prozent Ausbreitung der Viren wir mit und ohne Anlage haben.

Sehen Sie bei einem positiven Gutachten eine seriöse Chance, dass die Zuschauerauslastung in Theatern erhöht werden kann?
Jörg Lehmann: Ich hoffe es, aus mehreren Gründen. Wir können unsere Kultur nicht den Bach runtergehen lassen. Menschliche Kontakte müssen aufrechterhalten werden, vor allem auch in den Pflegeheimen. Die Technik dazu haben wir, um fast wieder zum Normalbetrieb übergehen zu können. Wenn wir die Übertragungswege kappen.

Wie steht es um die Betriebskosten?
Lehmann: Eine 100 000-Kubikmeter-Werkshalle hat mit unserer Anlage den Strombedarf einer veralteten Kaffeemaschine. Das sind 400 bis 500 Watt.

Was kostet die Aufrüstung der Lüftungsanlage an einem Theater wie Chemnitz?
Krüger: Der technische Leiter des Theaters Chemnitz sprach in einem Interview von den Kosten für einen Dienstwagen.

Alle Kulturstätten sollte ausgerüstet werden

Welchen Kulturveranstaltern würden Sie dringend eine Aufrüstung nahelegen?
Krüger: Ich würde es allen Versammlungsstätten und Kulturstätten empfehlen. Überall wo Menschen aufeinandertreffen, um sich miteinander zu unterhalten, in der Gastronomie, in den Theatern, es ist essentiell wichtig, dass die technologischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, damit wir wieder nach vorne sehen können, und zwar auf eine in möglichst voller Besetzung bespielte Bühne.
Lehmann: Das ist ja kein Nischenprodukt. In der europäischen VDI 6022, der Norm für Raumlufthygiene, an die sich alle Betreiber von Lüftungsanlagen halten müssen, ist für die Güteklasse 1 das Vorhandensein von Ionen in der Mindestkonzentration gefordert. Sie müssen Ionen in der Luft haben, um Güteklasse 1 zu erreichen.

Wie steht es um kleinere Geräte für kleinere Räume, für Proberäume, Arztpraxen?
Lehmann: Es gibt Geräte mit verschiedener Größe. Wir haben Geräte für die Lüftungsanlage, aber auch Stand-alone-Geräte. Bei Billiggeräten, die es auf dem Markt gibt, muss man vorsichtig sein. Ich habe viele von ihnen vermessen. Wer ein gutes Gerät haben will, wo man dann auch Ozon hat, muss schon in Bereichen von 2000 bis 3000 Euro denken. Das betrifft zum Beispiel die Arztpraxen.

Es gibt aber nicht nur Ihre Methode der Luftreinigung, auch UV-C-Licht tötet Viren und Bakterien.
Krüger: Das stimmt. Aber je weiter ich von der UV-C-Lichtquelle weg bin, desto mehr nimmt die Konzentration exponential ab. Ich muss die Viren also in unmittelbarer Nähe an der Quelle vorbeiführen. Eine UV-C-Lichtquelle in Räumen, in denen sich Personen befinden, kann für die Menschen gefährlich sein.

Und wenn das Licht als UV-Lichtschranke in der Lüftungsanlage verbaut ist?
Krüger: Das ist durchaus sinnvoll. Die Luft kommt dann keimfrei raus. Aber sie wirkt nicht im Raum, während unsere Technologie im gesamten Raum wirkt.
Lehmann: Die Quelle ist ja im Raum. Mit der Ionisierung wirkt die Reinigung direkt an der Infektionsquelle, am Körper. Das ist der Riesenunterschied zu allen Filteranlagen. Wir haben die Technik, sie funktioniert, sie ist in der Norm vorhanden. Sie muss nur akzeptiert werden. Es muss einfach mal bei allen Leuten in der Hysterie ein Schalter umgelegt werden.

Jörg Lehmann liefert entscheidende Erfindungen

Herr Lehmann, Sie haben die von Ihnen erfundene getrennte Produktion von Ionen und Ozon patentieren lassen. Was ist der Vorteil?
Jörg Lehmann: So kann man beide Größen getrennt steuern, dieIonisation je nach Last im Raum und Ozonanreicherung je nach Geruch und Schadstoffen. Die Anlage kann ganz speziell ausgerichtet werden. Außerdem braucht man eine ganz bestimmte Frequenz und eine ganz bestimmte Hochspannung bei der Ozonproduktion, damit keine Stickoxide produziert werden. Auch hier habe ich meine Methode patentieren lassen.

Was ist die besondere Herausforderung in einem Theater?
Jörg Lehmann: Dass Sie in der Regel keine Querspannung über dem Publikumsraum anbringen können. Deshalb verwenden wir im Hamburger Polittbüro Ionenkanonen. In Chemnitz gibt es eine ganz leichte Querspannung. Gehen sie da mal ins Theater, sie denken, Sie stehen im Wald!

Interview: Jürgen Wittner

Hinweis: Hier steht die ausführliche Reportage über das Treffen mit Jörg Lehmann und Roland Krüger im Hamburger Polittbüro.

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