„Romance“ von Fontaines D.C.: Der Traum von früher
Der steile Aufstieg von Fontaines D.C. über die letzten Jahre zeigt erste Resultate: Größere Stadien, andere Produzenten - und auch im Sound der Iren finden sich mehr Ausflüge.
Das vierte Album in fünf Jahren: Mangelnde Arbeitsbereitschaft kann man Fontaines D.C. wirklich nicht attestieren. Dabei haben sie sich bei ihrem neuen Album „Romance“ für ihre Verhältnisse schon wirklich Zeit gelassen und mit über zwei Jahren Albumsarbeit den Durchschnitt weit nach oben getrieben. Es gab aber auch jede Menge Neues zu er- und durchleben für die fünf Iren: eine ausgedehnte Tour mit den Arctic Monkeys, ein Labelwechsel, der Produzentenwechsel vom langjährigen Begleiter Dan Carey zu Britrock-Mastermind James Ford, Primetime-Auftritte auf den großen Festivals. Spätestens „Skinty Fia“ hat die Band nochmal in neue Sphären versetzt und ihren Namen nicht nur auf Festivalplakaten in die Höhe schießen lassen.
Alles neu?
Die Atemlosigkeit ihres Aufstiegs zieht sich auch quer durch den Sound. Während die immer öfter als Vergleich herangezogenen Arctic Monkeys über ein Jahrzehnt hinweg vorsichtig an ihrem Klangbild gefeilt haben, scheinen Fontaines D.C. trotz Inspiration bei den Kollegen einen anderen Ansatz gewählt und sich für den Schnelldurchlauf entschieden zu haben. Wo 2019 auf dem Debüt „Dogrel“ noch ausladender Postpunk bestimmte, ist man drei Alben später bereits mittendrin in einem Potpourri aus stadiontauglichen Reminiszenzen an die 90er- und 00er-Indierock-Höhen und einem deutlich einladenderen Klang.
Und genau da beginnen sich die Meinungen ein wenig zu spalten. Begannen, wenn man ehrlich ist, denn bereits mit den ausgekoppelten Singles wie „Starburster“ oder „Favourite“ sind die ersten kritischeren Stimmen aufgekommen, die immer aufkommen, wenn eine Band mit markantem Sound diesen glatter poliert und höher zielt. Das Schielen auf die großen Arenen ist nicht neu, manifestierte Grian Chatten doch bereits auf dem ersten Song des Debüts: „My childhood was small, but I’m gonna be big“. Doch trotz Grammy-Nominierung und Kritiker:innenlob noch und nöcher ist nie so offen mit dem Mainstream kokettiert worden, wie es auf „Romance“ der Fall ist.
Ich bin für meinen Teil immer offen dafür, wenn sich Bands auf neue Wege aufmachen und sich einer größeren Zuhörer:innenschaft empfehlen. Gatekeeping ist eh uncool, und es wird immer genug neue Bands geben, die die kleinen, schwitzigen Club zerlegen. Wichtig ist doch nur, dass die Musik nicht unter den neuen Pfaden leidet, und das ist auf „Romance“ zu großen Teilen nicht der Fall. Zugegeben, es ist ein Album, das dank seiner vielen verschiedenen Ausflüge in alle möglichen Rock-Unterarten zunächst drei, vier Durchläufe braucht, um sich zusammenzufügen. Das Zunicken zu verschiedenen Ären der vergangenen 30 Jahre Rockmusik gerät dabei auf dem Weg beinahe zu einer Art Schnitzeljagd der Einflüsse.
Poesie stand ihnen noch nie so gut zu Gesicht
Wenn sich Chatten auf dem Intro und Titeltrack noch minimalistisch und verträumt die Frage stellt, wo die Romantik zu finden sei, um dann einen Song später auf „Starburster“ in abgehetzte und buchstäblich Atem verschlagende Rap-Parts zu verschwinden, dann braucht es einen Moment, um da hinterherzukommen. Überhaupt hallt der zweite Track des Albums in seiner Intensität und Atemlosigkeit noch lange nach und ist nicht ohne Grund als erste ausgekoppelte Single das Musterbeispiel für den neu eingeschlagenen Kurs von Fontaines D.C.. Etwas weniger wuchtig gerät das darauffolgende „Here’s the Thing“, das im Alternative-Rock-Gewand und mit Falsett besticht, jedoch nur genauso lange im Kopf bleibt, bis das Deftones-ishe Stück „Desire“ und das balladige „In the modern World“ es ablösen und eine deutlich nachklingendere Atmosphäre schaffen. Insbesondere letzteres gerät wunderschön emotional, wenn Chatten sich wieder mal auf die Suche nach der Romantik macht und sie rechts ortsungebunden findet: „I feel alive/In the city that you like“ heißt es noch in der ersten Strophe, während die folgende Strophe bestätigt, dass sich auch in einer von ihr verachteten Stadt lebendig gefühlt werden würde.
Für diese simplen und doch poetischen Zeilen stehen die fünf Iren seit Beginn ihres Schaffens – haben sie doch sogar über die gemeinsame Poesieleidenschaft zusammengefunden – doch selten stand ihnen das Faible für Wortkunst so gut zu Gesicht wie auf einem Album, das sich so sehr von Äußerem löst. Schlagzeuger Tom Coll fasst es im kulturnews-Interview zusammen: „Bisher ging es entweder darum, wie es ist, in Irland zu leben, oder nicht dort zu leben und es zu vermissen. ,Romance‘ schaut stärker nach innen“. Songs wie das grandiose „Horseness is the Whatness“ lehnen sich deshalb nicht nur namentlich an die irischen Dichtvorbilder wie James Joyce an, sie holen sie für einen Moment gedanklich zurück. Untermalt von sanften Streichern stellt sich Grian Chatten die große, albumumfassende Frage: „Will someone find out what the word is that makes the world go round?/’Cause I thought it was love“.
Romantik in vielen Facetten
Überhaupt werden die ganz großen Fragen auf diesem Album am besten in den kleinen, sanfteren Momenten verhandelt. Auf „Sundowner“ lehnen sich die Fünf so sehr in Richtung Shoegaze wie noch nie, träumen hier allerdings doch nur von ihrer Person. Besser gelingt es auf dem Outro und dem selbsternannten Lieblingssong ihrer Platte, „Favourite“. In leichter The-Cure-Manier und mit einem nicht mehr aus dem Kopf zu kriegenden Riff endet ein nicht immer leicht zu fassendes Album erstaunlich leichtfüßig mit einem Liebeslied und dem viel wiederholten Satz „You’ve been my favourite for a long time“. Dabei ist es ein langer Weg bis zu dieser Erkenntnis gewesen: „Bug“ klingt nicht nur bisweilen nach The Smiths, sondern gibt sich auch noch ähnlich schmerzhaft und auf der Suche nach Verdrängung. Auch der vielleicht klanglich düsterste Song „Motorcycle Boy“ könnte noch nicht verraten, dass die Iren auf diesem Album noch auf einer derart fröhlichen, wenn auch nostalgisch-bittersüßen, Note enden würden. „Death Kink“ als weiterer Standout-Song erweitert die bunte Alternative-Soundpalette schließlich auch noch um grungigen Pixies-meets-Nirvana Sound, auf dem Grian Chatten so wütend wie nirgendwo sonst klingt und sich an einer vergangenen Beziehung abarbeitet.
Fontaines D.C. sind groß geworden
An die Abwendung von irlandzentrierten Themen und der postpunkigen Handschrift muss man sich kurz gewöhnen. Auch wenn die Vorabsingles schon prophezeit haben, dass Fontaines D.C. neue Pfade einschlagen würden, so sind die vielen zurückhaltenden Passagen erstmal neu. Shoegaziger, verträumter Klang dominiert über weite Strecken des Albums und wird nur hier und da durch Ausbrecher wie „Starburster“ oder „Death Kink“ aufgespalten. Das bietet gleichzeitig aber viel Entdeckungsspielraum, denn die verschiedenen Rückblicke in die Rockklänge der 90er und 00er finden sich auch in den noch so leisen Momenten von „Romance“ wieder und lassen die elf Tracks zu einer Art Spielwiese für Alternative-Fans aller Art werden. Das wird teils etwas zu wirr, etwa wenn auf das wütende „Death Kink“ unmittelbar das liebestaumelnde „Favourite“ folgt, und könnte hier und da etwas mehr Fluss vertragen, scheint aber unumgänglich, will man derartig viel unter einen Hut bekommen.
Der ausladende Postpunk weicht einladendem Rock’n’Roll, der mit Sicherheit nochmal eine Menge mehr Menschen fangen wird. Denn wer die Smiths mag, wird sich in diesem Album genauso wiederfinden wie Smashing-Pumpkins-, Pixies- oder eben Arctic-Monkeys-Fans. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Fontaines D.C. gerade als Opening Act für die (eventuell stattfindende) Comeback-Tour von Oasis gehandelt werden, denn den Sound für derartig großflächigen Auftritte bringen sie mittlerweile allemal mit.
Überall zeigen sich die Einflüsse James Fords, der dem Quintett eine bisweilen epochale Tiefe verleiht und mehr Gewicht auf Streicher und Synthies legt. Das wird zweifellos funktionieren im Arenasetting, ist nur eben gewöhnungsbedürftig. Aber wer den Weg mitgehen will, den sich Fontaines D.C. seit Anfang an vorgenommen haben und nun konsequent gehen, der wird mit viel Experimentierfreudigkeit, einem wahnsinnig passenden Setting für Chattens poetische Zeilen und viel Vorfreude auf die nun vielgestaltig wirkende Zukunft der Iren belohnt werden.