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„Rosalie“: Alles andere als ein menschlichter Makel

Rosalie X-Verleih Kinofilm
Mehr als campy Selbstbehauptung: Der Film „Rosalie“ startet in den Kinos. (Foto: Foto: © 2024_TRESOR FILMS_GAUMONT _LDRP II_ARTEMIS PRODUCTIONS_X Verleih)

Ist es möglich, Ende des 19. Jahrhunderts in einer französischen Arbeitersiedlung anders zu sein? Der Film „Rosalie“ zeigt das jetzt Im Kino.

Regisseurin Stéphanie Di Giusto hat mit ihrem Liebesdrama „Rosalie“ einen Film gedreht, der unseren Rezensenten Falk Schreiber erst dann richtig überzeugte, als er erkannte, was der Film nicht ist: eine filmästhetische Innovation.

Rosalie lebt mit Hirsutismus: einer genetischen Anomalie, die ihr Körperhaar unkontrolliert sprießen lässt. Die junge Frau hat einen Umgang mit ihrem Zustand entwickelt, indem sie ihr Gesicht intensiv rasiert, aber als ihr verwitweter Vater sie mit dem verschuldeten Kneipenwirt Abel verheiratet, lässt sich ihr Körper nicht mehr verheimlichen. Zumal die Geschichte in einem wenig toleranten Umfeld spielt: Man schreibt das Jahr 1870, Rosalie und Abel leben in einer verarmten nordfranzösischen Arbeitersiedlung, das Andersartige der Protagonistin wird als Bedrohung der ohnehin prekären Existenz wahrgenommen. Bis Rosalie ihren vermeintlichen Makel ins Positive wendet: Fortan trägt sie stolz Bart, was erstens Neugierige in Abels Lokal lockt und zweitens als erotischer Fetisch lesbar wird. Auf den ersten Blick ist Stéphanie Di Giustos zweiter Spielfilm „Rosalie“ Historienfilmkonvention: Gezeigt wird ein in satten Details ausgestattetes Armutssetting, Nadia Tereszkiewicz („Mein fabelhaftes Verbrechen“) und Benoît Magimel („Pacifiction“) spielen immer ganz nah an ihren Figuren, und Hania Rani legt über jede Szene mal stimmungsvolle, mal überdeutliche Klaviermusik. Und erst nach einer Weile versteht man, dass es Di Giusto gar nicht um filmästhetische Innovation geht: „Rosalie“ ist eine große Feier der Individualität, wenn die Titelheldin für erotische Postkarten posiert, dann ist das mehr campy Selbstbehauptung als echter filmischer Kunstanspruch. Di Giusto nähert sich so der Zeichenhaftigkeit des zeitgenössischen Balletts an, es kommt nicht von ungefähr, dass ihr Kinodebüt „Die Tänzerin“ 2016 ein Biopic über die Tanzinnovatorin Loïe Fuller war. Und wenn man „Rosalie“ weniger als erzählenden Film versteht und mehr als Spiel mit Zeichen, dann ist das Ergebnis interessanter als zunächst vermutet.

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