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„Spirituals“ von Santigold: Die Ruhe im Sturm

Santigold steht mit Schellenkranz in der Hand vor einer Wand
(Foto: Frank Ockenfels)

Es hat schon einen guten Grund, warum Future-Pop-Königin Santigold parallel zu ihrem neuen Album „Spirituals“ auch einen Entspannungstee rausbringt.

„Mein neues Album ,Spirituals’ bedeutet für mich mehr als nur eine weitere Sammlung von Songs“, sagt Santigold, die vor knapp 46 Jahren als Santi White in Philadelphia geboren wurde und heute mit Mann und drei kleinen Jungs (Radek ist 2014 zur Welt gekommen, die Zwillinge Icho und Honor 2018) in Brooklyn lebt. „Es fühlt sich vielmehr an wie ein Rettungsring, den ich in die Welt hinauswerfe.“ Pause. „Diese Musik ist etwas zum Festhalten für die Menschen da draußen, aber auch für mich selbst.“ Das Zeitalter, in dem Santigolds erstes Album seit dem konsumkritischen „99 Cents“ aus dem Jahr 2016 entstanden ist, zählt bekanntermaßen nicht zu den Unproblematischsten – für empfindsame Kreative wie Santigold schon mal gleich gar nicht. „Einkaufen, Essen kochen, putzen und die Kinder so beschäftigten, dass sie sich nicht gegenseitig erwürgen“, beschreibt sie ihren pandemieverstärkten Alltagswahnsinn. Daneben auch noch eine neue Platte zu schreiben, ist für Santi zunächst eine Überforderung gewesen. „Ich hatte eine ganz klassische Schreibblockade“, sagt sie. „Die Künstlerin in mir ist fast eingeschlafen, weil ich einfach komplett damit ausgelastet gewesen bin, unser Leben als solches am Laufen zu halten.“ Der ziemlich eingängige und von Santi unter anderem mit ihrem alten Mitstreiter Rostam Batmanglij konzipierte Auftaktsong „My Horror“ hält die zeitweilige emotionale Paralyse auf sehr gut nachvollziehbare Weise fest: „I don’t even know what day it was.“

Aber auf einen Schlag – noch immer in tiefster Coronatristesse – hat sich der Schalter umgelegt – und aus Santi White ist wieder Santigold geworden. „Das war gewissermaßen der Kipppunkt des Grauens: In Kalifornien ist der Wald abgebrannt, und wir alle mussten uns immer noch daheim verschanzen. Aber dann sind die Menschen im ganzen Land auf die Straße gegangen, um gegen die Polizeigewalt gegen Schwarze sowie den ganzen Rattenschwanz an Ungerechtigkeiten zu protestieren, mit dem wir seit ewigen Zeiten zu kämpfen haben.“ Plötzlich konnte sie sich vor Ideen nicht mehr retten. „Ich habe meine Songtexte noch nie so schnell geschrieben wie im Spätsommer 2020.“ Santi hat alte und neue Kreativpartner wie Boys Noize, Nick Zinner oder SBTRKT zusammengetrommelt, mit denen sie dann vorwiegend virtuell gearbeitet hat. Zusammengeschraubt hat sie „Spirituals“ aber schließlich mutterseelenallein in einer Hütte in Kanada, und natürlich gibt es auf der zwischen allen Genres pendelnden Platte auch wieder bärenstarke Botschaften zum Thema weibliche Selbstbehauptung. Da passt es auch perfekt, dass Santigold parallel zum Album eine Hautcreme sowie einen Entspannungstee unter dem Namen „Spirituals“ auf den Markt bringt. „Beides ist gut gegen Stress“, verspricht sie. Vermutlich wird sie auch sich selbst eine treue Kundin sein.

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