Eine Diktatur der guten Laune
TV Now zeigt ab sofort internationale High-End-Serien. Den Anfang macht die opulent gestaltete dystopische Serie „Schöne neue Welt“.
Die Regeln in „Schöne neue Welt“: „Willkommen in New London. Es gibt hier drei Regeln. Keine Privatsphäre. Keine Familie. Keine Monogamie. Alle sind sehr glücklich.“
„Mir wurde zugetragen, dass Sie eine monogame Sexualbeziehung unterhalten. Mit einem Alpha+, und das schon zwei Monate lang.“ Kaum hat Bernhard Marx (Harry Lloyd) das zu Lenina Crowne (Jessica Brown-Findley) gesagt, ploppt zwischen ihnen auch schon ein Hologramm auf, das Lenina in wechselnden Positionen beim Sex mit Henry Foster zeigt. Bernhard fordert Lenina auf, diese Beziehung zu beenden und sich wieder an die Regeln zu halten: Verfügbarkeit für die gesamte Gemeinschaft ist verpflichtend. Was er verschweigt: Bernhard selbst hat sich bei seinen regelmäßigen Kontrollen längst in Lenina verguckt.
Schöne neue Welt: Sex im Hologramm
Die ersten beiden Folgen der Serie konnten vorab gesichtet werden. Eines wurde sofort klar: Die Serie, die auf TVNow gestreamt werden kann, ist keine bis in die Details präzise Verfilmung des gleichnamigen dystopischen Romans von Aldous Huxley, aber die Richtung gibt das Buch durchaus vor: Utopien sind, wenn sie erst mal zur Staatsraison werden, immer und überall der Grundbaustein einer Diktatur. Huxley hat „Brave New World“ 1932 veröffentlicht, und diese Jahreszahl merkt man der Serie in Thema und Handlung deutlich an. Doch was ist davon heute noch denkbar? Eine Wellnessdiktatur, die Promiskuität, Glück und Oberflächlichkeit verordnet und mit Glückspillen durchsetzt, ist Gesellschaftsordnungen des 20. Jahrhunderts geschuldet.
Bücher des Briten Huxley wurde nicht ohne Grund von der nationalsozialistischen Regierung in Deutschland ab 1933 verboten. Aber heute? Mit einem reibungslos funktionierenden Kapitalismus ist eine Diktatur des Konsums und des Glücks nicht kombinierbar. Religionen in ihrer Rückwärtsgewandtheit oder reaktionäre politische Strömungen sind heute aber durchaus Gefahr für Demokratien, während Selbstbestimmtheit in allen Variationen zum Element des Konsums im Kapitalismus geworden ist – wir machen freiwillig, was in Huxleys Dystophie von einer Diktatur erzwungen wurde.
Sieht man über diese Schwäche großzügig hinweg, ist „Schöne neue Welt“ ein technisch opulent gestaltetes filmisches Werk, für das Industrial Light & Magic verantwortlich zeigt. Das Animationsstudio von George Lucas macht derzeit Serien wie „The Mandalorian“. Ob High-Tech-Transportröhren, autonom fliegende Flugzeuge und ähnliche technischen Gimmiks in der hoch entwickelten Zivilisation oder irgendwo im Outback à la Westworld das raue Leben der Gemeinschaft von so genannten Wilden: In dieser Serie wird filmästhetisch nicht gekleckert, sondern geklotzt.
Schöne neue Welt: Revolution in der Wildnis
Geklotzt wird auch, wenn die unterste Klasse der Menschen, die Wilden draußen im Outback, der Zivilisation nicht nur den Kampf ansagt, sondern ihr rundheraus das Existenzrecht abstreitet. Eine Entwicklung, die massiv von Aldous Huxleys Roman abweicht und von der man deshalb nicht weiß, wie der Twist den weiteren Handlungsverlauf dominieren wird. Spätestens hier aber wird man als Zuschauer ganz stark an die Serie „Westworld“ erinnert, in der menschenähnliche Roboter ein Bewusstsein entwickeln und einen Aufstand gegen die Menschen planen: Auch Entertainer wie John The Savage (Alden Ehrenreich) in „Schöne neue Welt“ wollen keine bespaßenden Sklaven mehr sein.