Schorsch Kamerun – Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens
Ein Interview mit Schorsch Kamerun zu seinem ersten Roman „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“.
In der Musik und am Theater ist er als genialer Dilettant etabliert. Jetzt hat Schorsch Kamerun sein erstes Buch geschrieben – und natürlich täuscht er einen autobiografischen Roman nur an.
Am Bimmelsdorfer Strand machen Horsti und seine Clique auf Punk, um Altnazis, Ordnungsmenschen und die Anhänger des Wirtschaftswunders zu provozieren. Später zieht Horsti nach Hamburg, um mit Anti-Kunst und schlecht mitsingbarer Musik an einer eigenen Gegenkultur zu arbeiten. Und schließlich wagt er es auch, sich an den etablierten Institutionen zu reiben: Er inszeniert Opern und lernt alles kennen, was in der Welt der Hochkultur Rang und Namen hat.
Schorsch Kamerun Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens
Ullstein, 2016, 288 S.; 18 Euro
Schorsch, du bist vor allem als Sänger der Goldenen Zitronen bekannt. Wie kamst du zu der Idee, einen Roman zu schreiben?
Schorsch Kamerun: Es gab Anfragen, auch Interesse an einer Art Biografie. Ich habe versucht, das ein wenig zu unterlaufen, weil ich das Format „Selbstbeschreibung“ ein wenig eitel finde. Die Idee war, Erlebtes in Abstraktion und Fantasie zu übertragen. Man kann jetzt von einer Fake-Biografie sprechen, in der sich ein frecher Verwandter des Autors austobt, um dessen wichtigste Themen stellvertretend zu erleben. Ich sehe das Buch als Chance, mich auch über das Schreiben auszudrücken. Anders als in einem Sachbuch hoffe ich aber, in dieser Erzählform berührbarer zu sein.
Man kann deine Ausgangssituation mit der von Rocko Schamoni vergleichen, mit dem du in Hamburg den „Golden Pudel Club“ gegründet hast. Er war auch bereits als Musiker aktiv, bevor er seinen Roman „Dorfpunks“ rausgebracht hat.
Kamerun: Rocko und ich sind alte Freunde mit einer ähnlichen Biografie. Die brauche ich erzählerisch nicht zu wiederholen. Ich probiere, mehr draufschauend eine besondere Phase und deren Generation zu beschreiben. Es geht um die Frage, wo wir herkommen, was das für eine bleischwere Zeit war, in deren engen Vorgärten wir aufwuchsen, umgeben von Autoritäten jeder Couleur. Genauso interessiert mich die Darstellung von Gegenmethoden, die wir entwickelt haben. Das Prinzip des Täuschens etwa, das ich auch noch jetzt in der Kunst suche. Man lernte von Vorbildern und aus Beispielen: von DADA, den Situationisten, den Inkohärenten. Solche Strategien wollte ich spielerisch ins Heute übertragen.
Der Protagonist ist Horsti, der am Bimmelsdorfer Strand aufwächst und im Grunde eine Form der Selbstgeburt versucht. Das fängt schon beim Namen an. Er tauft sich in Tommi from Germany um. Sein Protest gegen die Gesellschaft fängt relativ simpel und naiv mit den Sex Pistols an, wird dann aber immer reflektierter.
Kamerun: Am Anfang war das ein ungefilterter Impuls wie bei den meisten Urmomenten von Jugendbewegungen. Irgendwann kommt es zu dem Punkt, an dem man das einordnen kann und muss. Nur wie dann weiter? Wie schaffe ich das zweite Album, das in der Regel nicht so gut wird wie das erste? Mein Buch ist die Beschreibung eines Werdegangs, sagen wir, der letzten 35 Jahre. Anhand eines heißlaufenden Protagonisten wird erzählt, wie Gegenkultur auf Gesellschaftsveränderungen reagieren kann. Es geht um das ständige Abgleichen, zeitgemäß eine klare Identität zu halten. Das ist wesentlich schwieriger geworden, wo man aktuell gezwungen wird, hundert Identitäten gleichzeitig leben zu müssen. Auch die Begriffe waren früher viel eindeutiger. Heute sind die radikalsten Haltungen gleichbedeutend mit Verkaufsargumenten. Das begleitet auch meine Geschichte. Jetzt spricht man bereits schon von Selbstverwirklichung, wenn man sich ein bestimmtes Handy kaufen kann. Mit Nichtrichtigem kann aber nur Falsches entstehen. Trotzdem bin ich kein Kulturpessimist.
Wie Horsti bist du auch am Theater tätig. Du kennst die Gegen- genauso gut wie die Hochkultur. Außerdem hast du bereits ein prämiertes Hörspiel produziert. Wann kommt dein erster Film?
Kamerun: Ich gerate immer sehr naiv an die Sachen. Kein Genre ist schlechter als das andere. Theater vereint auch viele Spielarten, aber der Film ist eine Königsdisziplin. Ansonsten empfinde ich das Musikmachen weiterhin als sehr aufregend. Ich verehre meine Band, weil die weiter so schön ungemütlich ist.
Interview: Philipp Kressmann