Simone Buchholz: Mexikoring
Simone Buchholz schont ihre Serienheldin nicht: In „Mexikoring“ läuft Chas Riley Gefahr, komplett auszubrennen.
Grillanzünder auf Vorderreifen, Feuerzeug dranhalten: Auto brennt. Spätestens seit G-20 weiss jeder Hamburger, wie’s geht. Doch auch bei Gentrifizierungskrawall oder Bonzenhass hört spätestens dann der Spaß auf, wenn noch der Fahrer in seinem Auto sitzt. Die Feuerwehr ist nach einem anonymen Anruf schnell am Mexikoring in der City-Nord – doch nicht schnell genug für Nouri. Der wurde vorher betäubt und ist in seinem brennenden Wagen erstickt. Mord: ein Fall für die ermittelnde Staatsanwältin Chas Riley und ihre Kripoboys. In Bremen lebt die Familie des Opfers, doch die Mhallamiye, die dort fett auf Drogen- und Wettspiel-Biz machen, sind wortkarg, abweisend und ohne Zeichen von Trauer. In ihrer patriarchischen Clanwelt ist der Einzelne nichts. Tot ist man schnell, mit der Polizei wird nicht geredet, Töchter heiraten ihre Cousins, alles bleibt in der Familie. Und dabei immer schön auf dicke Hose machen und in Gangsterpose werfen: Knarre im Gürtel, Messer im Schuh. Doch Nouri wollte da nicht mehr mitmachen, hat sich ins erst ins Jurastudium und dann in den Versicherungsjob nach Hamburg geflüchtet. Sein großer Traum war ein freies Leben in Mexiko, zusammen mit Aliza, die aus Angst vor der Zwangsehe untergetaucht ist. Da kommt Chas Riley nicht weiter bei der Tätersuche. Wissen vielleicht die Koksnasen aus Nouris Versicherungsklitsche mehr? Und wo steckt Aliza? Sie hat den Mörder gesehen und ist in höchster Gefahr. Chas trinkt literweise Pappkaffee und Dosenbier mit dem LKA-Stepanovic, raucht Kette, verhört, vermutet und versackt. Denn trinken in Gesellschaft hilft irgendwie, und für Sex auf Auslegware gibt es auch immer einen Grund. Niemand ihrer Homies ist ohne Knacks geblieben: Dem einen fehlt nur ein Freund, dem anderen gleich der ganze Arm. Doch auch wenn Chas nun einen Spuckbruder mehr hat, wird nicht alles besser. Und als beim Nouri-Fall der entscheidende Zugriff ansteht, gehen ihr plötzlich die Lichter aus …
Simone Buchholz ist Expertin für die Randbereiche der Gesellschaft. Sie fokussiert das, was dem oberflächlichen Blick entgeht und stellt diesmal mit dem Mhallamiye-Clan und Chas Rileys Ersatzfamilie aus alten Freunden, Kollegen und Barbekanntschaften zwei Lebensmodelle gegeneinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten – auch wenn beide mit angepassten Mittelmaß rein gar nichts zu tun haben. Immer mit dem richtigen Gespür für Worte und Bilder, die Situationen auf den Punkt bringen, sind ihre Krimis auch eine Liebeserklärung an die kleinen, perfekten Momente, mit denen uns das Leben überrascht. Es gibt nun mal keinen Kuschelkiez da draußen – nur die große, böse Welt. Da muss man eben nehmen, was gerade so angekuschelt kommt. Und wenn das verloren geht, schreit man laut mit den Möwen. nh
Simone Buchholz Mexikoring
Suhrkamp Verlag, 2018,
250 S., 14,95 Euro