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„Smiley“ von Nick Harkaway

Buchcover „Smiley“ von Nick Harkaway

Mit John Le Carré ist 2020 auch George Smiley verstummt. Jetzt belebt Nick Harkaway mit „Smiley“ den Agenten seines Vaters wieder. Ist der ganz der Alte?

„Smiley“ von Nick Harkaway ist unser Krimitipp der Woche

Vier Fünftel einer erfolgreichen Infiltration sind Recherche und Planung, doch das letzte Fünftel besteht aus schierem Willen und Dreistigkeit. Diese Spionage-Weisheit trifft auch auf Autoren zu, die sie sich fremder Erzählsettings und Figuren bemächtigen. Nick Harkaway setzt sich mit einem neuen Smiley-Roman den übergroßen Schlapphut seines Vaters John Le Carré auf. Und Hut ab: Wie mit einem gut gefälschten Pass schleicht er sich literarisch in die Welt des legendären MI6-Circus. Harkaway verortet seinen Roman zeitlich kurz nach „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1963) und vor „Dame, König, As, Spion“ (1974). Er zieht also auf dem alten Plot-Schachbrett seines Vaters.

Harkaway bringt auch neue Figuren ins Spiel: Im Jahr 1963 wird der sowjetische Profikiller Miki Bartnik nach London geschickt, denn Moskau möchte bald den Namen des ungarischen Ver­legers László Bánáti auf einem Grabstein stehen sehen. Doch Bánáti ist verschwunden, seine junge Assistentin Susanna – ebenfalls eine ungarische Emigrantin – schleust Bartnik zum MI6, denn dieser will im Westen bleiben. Bei Control, dem Chef des Circus, gehen die Warnlämpchen an: Für diese Sache braucht er Smiley – egal, dass der gerade erst seinen Ruhestand angetreten hat. Smiley kehrt zurück in die trostlosen Büros und konspirativen Wohnungen. Die Paranoia vor mutmaßlichen Verfolgern und dubiosen Schatten an den Wänden ist wieder da. Bánáti ist nämlich Ferens Róka, der als russischer Agent jetzt wohl auf die Abschussliste geraten ist. Was will Karla, der sowjetische Chefspion, damit verhindern?

Wie die Legende, so sein Sohn: die verwirrende Anzahl von Klarnamen und Decknamen, die berufsbedingt verklausulierten Dialoge, die internen Intrigen.

Harkaway erweitert die legendäre „Karla-Trilogie“ („Dame, König, As, Spion“, 1974 | „Eine Art Held“, 1977 |„Agent in eigener Sache“, 1979) einfach mal kühn um einen weiteren Band. Wie die Legende, so sein Sohn: die verwirrende Anzahl von Klarnamen und Decknamen, die berufsbedingt verklausulierten Dialoge, die internen Intrigen. Alles stimmig, aber für Hardcore-Fans nur ein Aufguss der bekannten Spielchen. Wer bei Agententhrillern ohnehin schon nach wenigen Seiten wie in einen englischen Nebel blickt und im Verwicklungssumpf die Orientierung verliert, kann sich immerhin wohlig in der archaisch anmutenden Sixties-Welt des Kalten Kriegs suhlen. Doch wie ein guter Spion hat man ständig den Verdacht, dass etwas nicht stimmt.

In „Smiley“ hat Nick Harkaway mehr Drive und ist deutlich zugänglicher als sein Vater John Le Carré

Die Story ist eindeutig auf die heutige Leserschaft hingeschrieben, hat mehr Drive und ist deutlich zugänglicher als bei John Le Carré. Zwinkert uns der alte Muffelkopp Smiley etwa schelmisch zu, wenn er und seinesgleichen wie Hasardeure die stacheligen Grenzen zwischen Ost und West hin und her queren? Und weil im alten Nachkriegseuropa die östlichen Zäune mittlerweile immer höher werden, ist bei Nick Harkaway auch einiges von Top-Spionen zu lernen. Da kann die heutige Politik durchaus nachlesen, wie der Russe so tickt.

Smiley versucht, sich mit Karla auf einen Kaffee im neutralen Lissabon zu treffen. Vielleicht kommt es in der vertrackten Situation ja zu einem Deal. Nach Smileys Vorstellung können Konflikte zwischen zwei vollkommen gegensätzlichen Positionen nur innerhalb gewisser Grenzen ausgefochten werden. Ohne diese Grenzen muss das Resultat letztlich die Zerstörung sein. Innerhalb davon gibt es vielleicht so etwas wie Frieden. So wartet Smiley in Lissabon auf Karlas Antwort. Der antwortet ohne Worte: Karla führt den Dialog lieber auf die russische Art …

Mit „Smiley“ hat es Nick Harkaway auf unsere Liste der besten Krimis im Juni 2025 geschafft.

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