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Snail Mail: Leiden für die Kunst

Lindsey Jordan alias Snail Mail mit Kirsche im Mund
(Foto: Tina Tyrell)

Bei Snail Mail steckt hinter jedem Song ein großes Drama. Doch mittlerweile kennt Lindsey Jordan ihre Grenzen ganz genau.

Lindsey, wenn du ins Jahr 2018 zurückreisen könntest, welchen Ratschlag würdest du deinem 18-jährigen Ich geben, das gerade als Snail Mail das Debütalbum „Lush“ veröffentlicht?

Lindsey Jordan: Puh, auf solche Gespräche haben 18-Jährige ja überhaupt keine Lust. (lacht) Die Zeit zwischen damals und heute war extrem hart: Ich musste wahnsinnig schnell erwachsen werden und war komplett überfordert. Vermutlich würde ich die Lindsey von damals sogar darin bestärken, dass trial and error schon okay ist. Auch die schlechten Erfahrungen waren für den Menschen wichtig, der ich heute bin – und momentan bin ich ziemlich glücklich.

Wäre es überhaupt möglich gewesen, weniger Konzerte zu spielen, weniger Interviews zu geben und nicht jeden vermeintlich wichtigen Termin mitzunehmen?

Jordan: Ich hätte auf niemanden gehört, der mir den Ratschlag gegeben hätte, es mal ein bisschen langsamer anzugehen. Damals hatte ich so viel Energie, und ich war überzeugt davon, mit allem fertigzuwerden. Aber klar, würden mich junge Künstler:innen heute nach einem Tipp fragen, dann wäre das meine Antwort: Sagt nicht zu allem ja!

Wie schon bei „Lush“ sind auch die Texte von deiner neuen Platte „Valentine“ sehr persönlich und schonungslos.

Jordan: Bei beiden Platten wollte ich mir über meine Gefühle klarwerden und bestimmte Dinge verarbeiten. Gerade bei „Valentine“ waren mir die Texte extrem wichtig. Ich habe viel gelesen und wollte mich da unbedingt verbessern. Sie sollten so persönlich wie möglich, aber auch poetisch und nicht zu persönlich sein.

Warum bleibst du dann bei der ersten Person und wechselst nicht etwa zum Storytelling, um die Texte besser verschlüsseln zu können?

Jordan: Die Texte sind ja schon verschlüsselt, auch die Namen sind natürlich verändert. Gleichzeitig hat es aber eine enorme Kraft, wenn man sich verletzlich macht. Ich denke natürlich viel darüber nach, auch weil ich da ja meine Partnerinnen mit reinziehe. Auf der neuen Platte erwähne ich in dem Song „Ben Franklin“ ja auch meine Entziehungskur. Für den Kontext des Songs war das wichtig – trotzdem will ich mich zu den Details nicht weiter äußern. Bei allen Themen habe ich stets die volle Kontrolle, wie weit ich gehe.

Die Zeit im Entzug war die Initialzündung für „Valentine“, oder?

Jordan: Ich habe dort endlich wieder den Kopf freibekommen, und ich konnte meine Leidenschaft für die Musik reanimieren. In dieser Zeit hatte ich nur eine alte Akustikgitarre, ansonsten musste ich 45 Tage ohne Musik auskommen. Ich war so ausgehungert, dass ich meinen besten Freund Alex angerufen habe, damit er mir übers Telefon Deerhunter vorspielt.

Was würde dein 18-jähriges Ich sagen, wenn du ihr dein neues Album vorspielen würdest?

Jordan: Sie würde es mögen, aber mit den Popsongs womöglich ihre Probleme haben. Pop habe ich erst in letzter Zeit für mich entdeckt. Mit dem Erfolg hatte ich Möglichkeiten: Plötzlich war ich in einem Studio voller Instrumente und konnte alles ausprobieren. Ich war wie ein Kind im Süßigkeitenladen. Gleichzeitig habe ich sehr viel gefeilt, denn ich wollte den Pop, ohne mich selbst dabei zu betrügen.

Hast du Angst davor, irgendwann nicht mehr so intensiv zu lieben und die damit verbundenen Dramen für dein Songwriting nutzen zu können?

Jordan: Manchmal schon. Ich mache jetzt Sport, meditiere und habe eine feste Freundin. (lacht) Wie sollen da neue Songs entstehen? Aber das sind ja die Probleme von morgen.

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