„Sobald das Licht ausgeht, kann alles passieren!“

Seit 2022 ist Nefeli Kavouras Literatur-Koordinatorin bei der altonale in Hamburg. Die Autorin und Literaturvermittlerin im Interview.
Keine 30 Jahre ist Nefeli Kavouras alt – und scheint doch ihre Finger im meisten zu haben, was in Hamburg literarisch abgeht: So sitzt sie als Mitarbeiterin des mairisch Verlags seit 2019 in der Redaktion des ZIEGELs, des Hamburger Jahrbuchs für Literatur, organisiert und moderiert Lesungen, ist mit vielen Kulturverantwortlichen der Hansestadt per Du. In 2022 hat sie zudem die Leitung über das Teilprogramm Literatur bei der altonale [sic] übernommen, Hamburgs ältestem Fest für Viertelkultur. Wie sie all das jongliert? kulturnews hat das Multitalent auf einen Kaffee getroffen.
Autorin, Moderatorin, Verlagsmitarbeiterin, Literaturvermittlerin – erst bei den Hafenlesungen, inzwischen als Teilprogrammleitung bei der altonale. Wie wird man, was du bist?
Nefeli Kavouras: Das wüsste ich auch gern. (lacht) Ich glaube nicht, dass es da einen klaren Leitfaden gibt. Ich bin, was ich bin, weil ich aktiv die Entscheidung getroffen habe, freiberuflich arbeiten zu wollen. Das heißt aber auch, dass keiner der Berufe, die ich habe, mich vollkommen ernährt. Im Gegenteil: Ich bin darauf angewiesen, mehrere Jobs parallel zu haben, weil ich sonst in unserer heutigen Kulturbranche schlicht nicht überleben könnte. Aber dass ich mache, was ich mache, liegt vor allem daran, dass ich selbst gern lese und Literatur auf unterschiedlichste Weise eine Bühne geben möchte – sei es, dass ich als Veranstalterin in Erscheinung trete, bei einem Verlag arbeite oder über Literatur spreche. Es ist mir ein Anliegen, Literatur größer zu machen.
Gab es einen Punkt, wo noch etwas ganz anderes aus dir hätte werden können oder sollen? Oder war die Berufsperspektive immer schon „Tausendsassa“?
Kavouras: Ich mag das Wort „Tausendsassa“ nicht. Das impliziert doch, dass ich viele verschiedene Begabungen hätte – aber eigentlich ist es mehr ein großes Interesse, aus dem meine Kompetenzen dann mit der Zeit gewachsen sind. Ich denke über mein eigenes Schreiben genauso nach wie über das anderer Leute, spreche darüber, tausche mich aus mit den Menschen hinter den Texten. Dadurch entsteht ein Geflecht von Eindrücken und Ansätzen und Motivationen, von denen natürlich einige hängenbleiben. In meiner Erinnerung war das auch schon immer so. Ich hatte zwar kein klares Bild davon, was ich einmal tun würde, ich wusste aber, dass es mit Literatur zutun haben müsste.
„Auf jedes Stipendium kommen etwa dreißig, bei denen ich leer ausgehe.“
Für deine Prosa wurdest du vielfach ausgezeichnet, etwa beim Treffen junger Autor:innen in Berlin, 2022 mit einem Stipendium der Roger-Willemsen-Stiftung, jüngst mit einer Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Was, würdest du sagen, ist dein stilistischer Markenkern – und warum kommt er so gut an?
Kavouras: Was ich festhalten möchte: Auf jedes erlangte Stipendium, jeden gewonnenen Preis, kommen auch in meinem Fall etwa dreißig, bei denen ich leer ausgehe. Man bewirbt sich eben immer wieder und freut sich dann punktuell, dass der eigene Schreibstil irgendwie Anklang gefunden hat. Ich glaube, jede:r Autor:in kennt das, Absagen zu bekommen und sich trotzdem nicht verunsichern zu lassen. Was den Markenkern angeht, das weiß meine Lektorin wahrscheinlich besser. (lacht) Mich persönlich interessieren tragisch-komische Fragen am meisten. Denen gehe ich dann mit einer nahen Figurenbeschreibung auf den Grund. So ist es jedenfalls aktuell, aber wer weiß, was ich nach Erscheinen meines Debüts nächstes Jahr vielleicht ausprobieren möchte.
In Kooperation mit der Behörde für Kultur & Medien bringt ihr bei mairisch ja seit 2019 das Hamburger Jahrbuch für Literatur, heraus – was ist für dich das genuin Hamburgische, literarisch gesehen?
Kavouras: Wie es der ZIEGEL ja immer wieder zeigt, ist die Hamburger Literaturlandschaft in Hinsicht auf Formen, Genres und Gattungen extrem vielfältig, genau wie die Schreibenden selbst. Ich würde also nicht sagen, dass es ein klares Thema gibt, auf das man die Arbeiten zuspitzen könnte. Vielleicht noch die Gemeinsamkeit, sich irgendwie, irgendwann in die Hafenstadt verliebt zu haben und von hier aus in die Welt zu schreiben. Was mich immer wieder begeistert, ist die örtliche Comic-Szene – was sicher auch am Studiengang Illustration der HAW liegt: Starke, junge Stimmen, begabt und humorvoll zugleich, auf die sollte man definitiv ein Auge haben.
„Es ist mir ein Anliegen, Literatur größer zu machen.“
Was verbindet dich mit Altona – und Altona mit dir?
Kavouras: Ich habe während des Studiums mehrere Jahre in Altona gewohnt und würde aber jederzeit wieder zurückgehen, weil ich dieses Nachbarschaftsgefühl wie in kaum einem anderen Stadtteil wahrnehme: Die Leute leben mit-, nicht nebeneinander. Es vibriert hier, ist gleichzeitig lieblich und rough, eine Art Stadt in der Stadt. An manchen Ecken komme ich mir vor wie in Brooklyn – ohne jemals dort gewesen zu sein. Mit mir verbindet Altona wiederum vermutlich nichts, dafür kennt man mich dort nicht genug. Aber die altonale, die ist hier sinn- und identitätsstiftend, auch weil es sie seit über 25 Jahren gibt. Ein kulturelles Zentrum, das das Viertel jedes Jahr für zwei bis drei Wochen in den Fokus der Stadtbevölkerung rückt und die Aufmerksamkeit auf Orte lenkt, die sonst nur „Eingeweihte“ kennen.
Hamburg ist ja bekannt für seine gut vernetzte Literaturszene. Wie ist da das Verhältnis von Anfragen und Angefragten bspw. bei der altonale? Wer kommt für einen Auftritt auf wen zuerst zu? Und wie begegnet man dem Dünkel der Vetternwirtschaft?
Kavouras: Bei der Programmgestaltung ist die erste Frage, die ich mir stelle, wie ich welche Themen (re)präsentiert haben möchte. Bestimmte Orte brauchen bestimmte Literatur – oder andersherum. Es muss eben harmonieren. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Vernetzung – die ja auch für ganz Deutschland gilt – weiß ich inzwischen natürlich ungefähr, wer über was schreibt oder schreiben will, und kann dementsprechend themenorientiert einladen. Wenn die Förderungen es zulassen, auch überregional. Damit meine ich nicht nur die reinen Geldmittel, sondern auch die Auflagen unserer Sponsoren – die altonale ist schließlich stark von Kooperationen abhängig, ob die Partner jetzt auf uns zugekommen sind oder wir auf die Partner. Und um noch einmal auf die Orte zurückzukommen: Das altonale-Publikum ist keins, das Literatur klassischerweise nur in Literaturhäusern konsumiert. Man muss versuchen, sie dort abzuholen, wo sie leben, arbeiten, sind. Dabei sind große Namen oft weniger entscheidend als die Relevanz und Unmittelbarkeit von Texten: In meinem ersten Jahr bei der altonale hat zum Beispiel Maren Wurster ihren Essay „Totenwache“ in einem Beerdigungsinstitut gelesen. Alle mitgebrachten Bücher wurden verkauft, eben weil Geschichte, Ort und Publikum eine Symbiose eingegangen sind.
„Eine Veranstaltung zu organisieren, ist 80 Prozent harte Arbeit und 20 Prozent Unberechenbarkeit.“
Von Couchsurfing über Parklesungen bis hin zu literarischen Elbfahrten – die Literatur-altonale scheut nicht vor neuen Vermittlungsformaten. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, welche extravagante Idee würdest du in deiner Leitungsfunktion gern noch umsetzen?
Kavouras: Bock hätte ich auf ein Residenzstipendium in Altona, wo Leute aus der ganzen Welt für ein halbes Jahr hier leben, den Stadtteil und seine Eigenarten kennenlernen würden. Und ich würde gern noch mehr Läden – Restaurants, Friseursalons, Supermärkte – als Veranstaltungsorte gewinnen, da wäre Geld für die Betreiber:innen ein nicht zu unterschätzender Motivator.
Was würdest du Menschen raten, die selbst für ihre Stadt ein Festival für Viertelkultur aufziehen wollen? Wo siehst du die größten Herausforderungen?
Kavouras: Geht mit offenen Augen durch euren Ort, schaut euch an, welche Läden was bieten können. Geht wohlwollend auf die Leute zu, seid neugierig. Man ist oft überrascht, wie begeisterungsfähig viele Menschen sind, die nicht primär im Kulturbetrieb arbeiten. Wie bereitwillig sie sich mitnehmen lassen, wenn man ihr Geschäft oder ihr Lokal zur Bühne machen möchte. Was hingegen oft zu Komplikationen führt, ist die Beschaffung der richtigen Technik. Da war ich selbst oft sehr naiv. Ein:e fähige:r Techniker:in, der oder die einschätzen kann, wie man aus Räumen akustisch und lichtgestalterisch das Meiste rausholt, ist unerlässlich. Damit fällt oder steigt sozusagen die Sinnlichkeit einer Veranstaltung. Wessen Sinne technisch schlecht unterstützt werden, der nimmt weniger auf – und mit. Grundsätzlich lässt sich festhalten: Eine Veranstaltung zu organisieren, das ist zu 80 Prozent harte Arbeit und zu 20 Prozent Unberechenbarkeit. Sobald das Licht ausgeht, kann alles passieren, auch oft Wunderbares, mit dem man gar nicht gerechnet hätte. Und diese 20 Prozent Unberechenbarkeit sind es wert.
Die 27. altonale findet vom 27. 6. bis 6. 7. in Hamburg-Altona statt. Alle Infos und ein ausführliches Programm findet ihr hier.