„Trust“ von Sohn: „Ich bin nicht der, für den mich alle halten“
Auf dem spektakulären neuen Album „Trust“ findet Christopher Taylor alias Sohn zu sich selbst – und singt über seinen Haarausfall.
Christopher, seit dem letzten Sohn-Album sind ganze fünf Jahre vergangen, und du hast sogar eine fast fertige Platte wieder eingestampft. Was ist so schwer gewesen an „Trust“?
Christopher Taylor: Ich hatte das Gefühl, ich habe nichts zu sagen. Worüber sollte ich mich beschweren? Das Sohn-Projekt war sehr erfolgreich, ich bin dreifacher Vater und habe in Spanien ein schönes Haus gefunden. Kurz vorm Aufgeben bin ich nach L.A. gereist, weil ich gemerkt habe, dass ich Hilfe brauche und es nicht schaffe, das Album allein zu beenden. Als es dort dann aber auch nicht besser wurde, stand nach anderthalb Wochen der Entschluss, die Platte komplett zu verwerfen. Von da an hatte ich nur noch das Ziel, wenigstens einen richtig guten Song in L.A. zu schreiben – und so ist innerhalb kürzester Zeit „I won’t“ entstanden.
Was war plötzlich anders?
Taylor: Ich musste mir bewusst machen, dass ich nicht der bin, für den mich alle halten. In der Außenwahrnehmung steckt hinter Sohn ein Produzent, der auch singt. Aber wie kann ich weiter ein Elektroproduzent sein, wenn ich mich gar nicht mehr für elektronische Musik interessiere? Ich bin diesen Sound so leid, der auf Synthies und künstlichen Drumbeats basiert! Nimm meinen alten Song „Bloodflows“: Den kann ich nicht akustisch spielen, weil er außerhalb dieser Ästhetik nicht funktioniert. Ich wollte für meine neue Platte einen warmen Raumsound, der Hoffnung in sich trägt, doch obwohl ich durch Indiebands musikalisch sozialisiert worden bin, musste ich erst wieder lernen, wie man Songs innerhalb eines solchen Kontexts schreibt.
„Wenn ich höre, wie mein Gesang auf der neuen Platte klingt, macht mich das stolz: In ihm steckt jetzt ein gesundes Selbstvertrauen und auch eine neue Akzeptanz.“ Christopher Taylor alias Sohn über sein neues Album „Trust“
Ging damit auch die Erkenntnis einher, dass du nicht leiden musst, um kreativ zu sein?
Taylor: Wenn dieser Zusammenhang wirklich stimmen würde, könnten die meisten Künstler:innen nur ein oder zwei Alben machen. Und erhältst du dir das Leid, führst du ein beschissenes Leben. Für mich sind Musiker wie Tom Waits und Paul Simon ein Vorbild: In ihrer Musik stecken so viele Emotionen, aber ich glaube nicht, dass sie für jeden neuen Song erst mal wieder Seelenqualen durchleben mussten. Wenn ich höre, wie mein Gesang auf der neuen Platte klingt, macht mich das stolz: In ihm steckt jetzt ein gesundes Selbstvertrauen und auch eine neue Akzeptanz. Ich meine, ich singe auch darüber, dass ich meine Haare verliere. Vor ein paar Jahren noch hätte ich das nicht mal einem guten Freund anvertraut. (lacht)
Zum Ende hin schlägst du mit Songs wie „Station“ und „Basis“ aber auch auf „Trust“ wieder sehr dunkle Töne an.
Taylor: Tatsächlich sind das zwei Songs, die ich von dem verworfenen Album behalten habe. „Station“ ist aus tiefster Depression heraus entstanden: Wenn ich da vergeblich wartend am Bahnhof stehe, geht es um das Gefühl, dass die Leichtigkeit nie wieder zu mir zurückkehren wird. Bei „Basis“ war ich fälschlicherweise der Ansicht, dass es mir bereits besser geht. Plötzlich vermisse ich die Depression: Wenn sie mich ausmacht, wer bin ich dann ohne sie noch, und worüber soll ich schreiben?
War es dann nicht kontraproduktiv, diese beiden Songs auf das neue Album zu nehmen?
Taylor: Vielleicht bereue ich es in zehn Jahren, aber ich wollte sie dabeihaben, um mich daran zu erinnern, wie schwer es gewesen ist, bei „Trust“ anzukommen. Hört man die beiden Songs isoliert, merkt man natürlich, wie sehr sie in der Depression gefangen sind. Ich hoffe aber, dass sich das im Kontext des Albums relativiert. Der Künstler befindet sich jetzt nicht mehr in diesem Zustand.